»Offenbar habe ich gute Gene«, sagt Elisabeth Dorfner. Vor exakt 100 Jahren überlebte ihre Mutter Amalie eine Infektion mit der »Spanischen Grippe«, im Gegensatz zu ihrem kleinen Sohn, der daran starb. Am 29. April dieses Jahres, einen Tag nach ihrem 99. Geburtstag, durfte Elisabeth Dorfner aus der Reha zurück in ihr Haus in Bayerisch Gmain. Die rüstige Frau hatte sich knapp fünf Wochen davor mit dem Corona-Virus infiziert – als Angehörige der höchsten Risikogruppe standen die Zeichen nicht gut. Doch sie kämpfte und überstand die Infektion.
»Seither sehe ich aber wesentlich schlechter, als hätte ich einen Grauschleier vor den Augen. Und mein Hirn hat einen leichten Schaden abbekommen, irgendwie habe ich einen Knacks«, fügt sie mit einem verschmitzten Augenzwinkern hinzu und offenbart trotz all der Probleme eine ordentliche Portion Humor – weiß sie doch ganz genau, dass in diesem hohen Alter gesundheitlich, wenn überhaupt, nur sehr langsam etwas wirklich besser wird.
»Ich bin zufrieden, weil ich schon ein langes, gutes Leben mit viel Glück hatte«, sagt die am 28. April 1921 in Bad Aibling geborene Elisabeth Dorfner. Ihre Kindheit verbrachte sie unter anderem in Traunstein, später war sie immer mal wieder in Bayerisch Gmain und arbeitete hier von 1938 bis 1948 unter Bürgermeister Georg Mannseicher in der Gemeindeverwaltung. Drei Jahre verbrachte sie mit ihrem Mann Josef in Passau, dann fast zwei Jahrzehnte in Augsburg.
Als der Versicherungskaufmann 1979 pensioniert wurde, zogen die beiden endgültig in die kleine Gemeinde oberhalb Bad Reichenhalls. »Ich war die meiste Zeit meines Lebens Hausfrau«, lächelt sie im Gespräch mit der Lokalzeitung. »Ich kümmerte mich um das Haus und den Garten.« Mit ihrem Gatten verbrachte sie Urlaubszeiten gerne in der Wachau in Österreich. Die gemeinsame Tochter Eva lebt heute in Dinkelscherben in der Nähe von Augsburg und ist 65.
Die ersten Corona-Anzeichen machten sich bei Elisabeth Dorfner am 4. April mit einem bösen Durchfall und starkem Husten bemerkbar. »Ich war furchtbar müde, dachte aber überhaupt noch nicht an eine solche Infektion.« Bis dahin versorgte sie sich noch fast komplett allein, kaufte ein – dabei hat sie sich möglicherweise angesteckt – und kochte sich ihr Essen selbst. Am liebsten gemeinsam mit ihrer Schwester Christine, die gleich ums Eck wohnt und immerhin auch schon 95 ist.
Selbst als es Elisabeth in den Folgetagen richtig schlecht ging und sie schon nichts mehr Essen und Trinken konnte, weil der Hals so verschleimt war, wollte sie keinen Arzt aufsuchen: »Ich dachte, das wird schon wieder. Meine Nachbarn meinten es gut mit mir und brachten Essen. Aber ich habe nichts mehr runtergebracht, weil es mich vor mir selbst ekelte«. Als ihre Pflegekräfte von der Caritas Sozialstation die Rentnerin dann aber nicht mehr die Treppe runterbrachten, weil sie bereits stark geschwächt war, musste doch der ärztliche Bereitschaftsdienst gerufen werden.
Dieser testete die schon leicht dehydrierte Elisabeth Dorfner schließlich auf Corona und stellte ein positives Ergebnis fest. Selbstverständlich erfolgte daraufhin die sofortige Einlieferung ins Reichenhaller Krankenhaus, die Behandlung mit Antibiotika begann. Elisabeth Dorfner entging einer künstlichen Beatmung auf der Intensivstation.
Aus den geplanten zwei Wochen Reha in der BG Klinik für Berufskrankheiten an der Münchner Allee im Anschluss wurden am Ende drei – mit vielen weiteren Tests und völliger Isolation: »Ich durfte mein Zimmer nicht einmal verlassen. Zum Glück war es recht lang, da konnte ich mit meinem Rollator auf und ab spazieren.« So blieb Elisabeth Dorfner in Bewegung und konnte sich ein wenig erholen. Erst als die letzten beiden Tests negativ waren, durfte sie nach Hause. »Letztlich waren die Symptome gar nicht so schlimm wie befürchtet«, sagt sie glücklich.
Jetzt ist sie zurück in ihrem Haus in Bayerisch Gmain, in dem sie so lange mit ihrem Josef lebte, der 2009 verstarb. Ihre ebenfalls schon betagte Dackeldame Burgi, 13 Jahre alt, ist zum Glück wieder bei ihr: »Aber sie fremdelt, ist nicht mehr so schmusig. Vielleicht ist sie beleidigt, dass ich sie einen Monat verlassen habe.« Um die Hündin, die Elisabeth Dorfner »so viel Kraft« gibt, kümmerte sich während der vierwöchigen Krankheitsphase Caritas-Mitarbeiterin Eva Schlindwein privat – weil sie selbst einen Hund hat. »Sie hat das so liebevoll gemacht, dafür bin ich ihr sehr dankbar. Genauso wie allen Ärzten und Pflegekräften.«
Die Caritas-»Mädels«, wie Elisabeth Dorfner ihre aktuellen Pflegeschwestern Madeleine Eiginger, Dani Pfnür und Eva Schlindwein liebevoll nennt, schauten schon vor ihrer Corona-Infektion seit 2014 jeweils morgens und abends nach ihr: Zwei- bis dreimal Duschen pro Woche, Wundverbände anlegen, Kompressionsstrümpfe an- und ausziehen, Medikamente vorbeibringen und vieles andere mehr stand auf dem Tagesplan, der nun weiterhin in ähnlicher Form fortgeführt wird. »Mein Frühstück mache ich mir aber jeden Tag selbst«, erzählt die Rentnerin nicht ohne Stolz. Ansonsten wird sie nun von »Essen auf Rädern« versorgt.
Sie fühlt sich nach wie vor sehr schwach, das Gehen ist eine wacklige Angelegenheit, und die Augen wollen ebenfalls nicht mehr richtig mitspielen. Schon eine ganze Weile hatte sie aufgrund eines Netzhautschadens, einer »Altersbedingten Makula-Degeneration« (AMD), nicht mehr gut sehen können. »Es wird dauern, bis ich wieder die Alte bin«, schmunzelt Elisabeth Dorfner, die jedoch bedauert, dass durch die Covid-19-Infektion vor allem das Gedächtnis »arg gelitten hat«. Zur aktuellen Virus-Krise sagt sie: »Die Erde schüttelt sich und wehrt sich gegen zu viele Menschen und zu starke Umweltsünden – vor allem durch Flugzeuge und Kreuzfahrtschiffe. Das ist einfach zu viel für sie.«
Hans-Joachim Bittner