Wenn am 28. November das Licht ausgeht, der letzte Besucher das Gebäude am Obersalzberg verlassen hat, war's das mit der alten Doku. Im Oktober 1999 war sie eröffnet worden, mit großem Tamtam, es gab kaum etwas Vergleichbares, von 40 000 erwarteten Besuchern pro Jahr war damals die Rede. Viermal so viele kamen schließlich. Die Doku Obersalzberg und deren Erfolg ebneten den Weg für weitere Ausstellungen, hatten zumindest Symbolwirkung, etwa für das NS-Dokumentationszentrum München. Schnell war auf dem Obersalzberg klar: Das Haus ist viel zu klein, der Ansturm zu groß. Deshalb entsteht gleich daneben das Nachfolger-Gebäude, offiziell ist es der Erweiterungsbau. So viel größer, so viel moderner, ein architektonischer Aha-Moment, versteckt im Berghügel, in den Glasfronten der nüchtern-modernen Fassade spiegelt sich bereits die umliegende Bergwelt. »Ich hoffe, dass Ende 2022 eröffnet wird«, sagt Mathias Irlinger. Tatsächlich bleibt man im zuständigen Bayerischen Finanzministerium vage. Der Rohbau steht, derzeit sind Bauarbeiter mit dem Innenausbau beschäftigt. Eröffnet wird erst dann, wenn das neue Bildungszentrum fertiggestellt ist. Eben jenes soll künftig im Bestandsgebäude einziehen, in dem derzeit die letzten Besucher ihre Runden drehen, vorbei an Schautafeln und Exponaten. Jede Menge Texte, wenig Interaktion. Geplant ist, die ehemalige Dokumentation dann umzubauen, Seminarräume einzurichten, Interessierte können der Geschichte hier künftig vertieft begegnen.
»Das Ausstellungskonzept war in die Jahre gekommen«, fasst Mathias Irlinger zusammen. Die Inhalte der Dokumentation Obersalzberg wurden all die Jahre belassen, kaum etwas wurde verändert, weiß Kollegin Leonie Zangerl. So manche Information ist heutzutage falsch, wie die Wissenschaft mittlerweile weiß. 100 000 Euthanasie-Opfer steht auf einer Tafel geschrieben. »Es waren deutlich mehr«, sagt Irlinger. Weit über 200 000. Die Zahl korrigiert wurde am Ende aber nicht. In einer Vitrine finden sich Dutzende aus dem Zusammenhang gerissene Propagandabilder, die Einordnung, die kritische Betrachtung fehlen.
Vieles hat sich verändert
Gleich beim Eingang, dem Prolog der Ausstellung, fällt der Blick auf Hitler mit Hakenkreuzfahne, riesig groß, daneben Schwarz-Weiß-Bilder, etwa von Holocaust-Opfern, ausgemergelten Leichen. »Es ist ein konfrontativer Umgang mit Schreckensbildern«, sagt Irlinger. »Würde man heutzutage nicht mehr so machen«, konstatiert er. Viele der Besucher haben das Hitler-Bild für Selfies genutzt, so prominent wie es dasteht. Irlinger sagt: »Rezipienten werden dabei überfordert«, wohl auch, weil die textliche Einordnung fehlt. Ein schwer zugänglicher Text auf einer Tafel soll den Weg ebnen. In der künftigen Ausstellung wird einfache Sprache den Ton angeben, kurze Sätze, wenig technisches Fachvokabular – für jedermann verständlich.
Im Laufe der vergangenen 22 Jahre hat sich viel verändert. Die Konzeption von Ausstellungen ist vorangeschritten. Wichtig sind Hierarchien, damit Rezipienten besser an der Hand geführt werden. Früher galt: Alles in die Ausstellung reinpacken, was geht, ein Abbild des Dritten Reichs im Gesamten, »der Versuch, alles zu erzählen«, sagt Irlinger. Das geht auf Kosten der Übersicht. Viele Themen werden dabei angeschnitten, bei kaum einem ging man in die Tiefe. Künftig soll, ausgehend vom Obersalzberg und der umliegenden Region, anhand ausgewählter Personen und besonderer Exponate die Geschichte geschildert werden. Der Obersalzberg als Täterort, bei Weitem nicht nur Hitlers idyllisches Feriendomizil, sondern Ort der Entscheidung. Der Lokalbezug steht dabei im Vordergrund: Auf Hitlers menschenverachtende Beschlüsse, die er an seinem zweiten Regierungssitz in Berchtesgaden traf, wird besonderer Fokus gelegt.
Die Präsentation ist zudem wichtiger geworden. »In der alten Dokumentation erinnern einige Bereiche an ein aufgeschlagenes Schulbuch«, sagt Leonie Zangerl. »State of the Art«, also auf dem neuesten Entwicklungsstand, sei das alles nicht mehr. Man will weg von bleiernen Textwüsten, vielmehr exemplarisch Geschichten erzählen, »Storytelling« nennen das die Museumspädagogen. Das wenige Multimediale, die Computer-Terminals der alten Ausstellung, sind im Laufe der Jahre abgebaut worden. »Sie waren nicht mehr zeitgemäß«, weiß Mathias Irlinger. Geblieben ist jene Ausstellung, die den Fokus allein auf Texte, Bilder und wenige Exponate legt.
Tafel für Tafel soll nach der Schließung abgebaut, später entsorgt werden. Platz, die Ausstellung zu archivieren, gibt es nicht. Originalexponate sollen ins Archiv wandern. Möglich, dass die Verantwortlichen ausgewählte Schaubilder behalten werden. Per 3 D-Scan hat das Institut für Zeitgeschichte die Ausstellung fotografisch festgehalten. »Damit man sie in Zukunft digital durchschreiten kann«, sagt Historiker Irlinger. Das große, selbst nach 22 Jahren viel bespielte, topografische 3 D-Relief des Obersalzbergs wird wohl entsorgt werden. Per Knopfdruck kann eine Person hier die wichtigsten Gebäude aus dem einstigen Führersperrbezirk mit einem Lichtsignal zum Leuchten bringen, Stichwort: Interaktion. Künftig wird es ein moderneres Modell geben, das von mehreren Personen gleichzeitig bedient werden kann.
Mathias Irlinger sagt, dass er er wehmütig auf die mittlerweile altbackene Ausstellung, deren Texte ausschließlich in Deutsch gehalten sind, zurückblickt: »Sie hat immerhin 22 Jahre lang funktioniert, viel länger als gedacht.« Auch der Film im Videoraum, der alle 28 Minuten wiederholt wird, wurde nie ausgetauscht. »Früher ging man davon aus, dass deutsche Geschichte nur Deutsche interessiert.« Mittlerweile weiß man beim Institut für Zeitgeschichte, dass rund ein Drittel der Besucher aus dem Ausland stammt. Die Gesellschaft habe sich verändert, beim Institut für Zeitgeschichte herrschte breiter Konsens, dass der Erweiterungsbau inklusive neuer Ausstellung mehr als überfällig ist. »Wir wissen ja schon, was kommen wird«, sagt Irlinger. Darauf freue sich das Team, hoffentlich auch die künftigen Besucher. »Wir haben tolle Exponate, anhand derer wir deutlich besser Geschichten erzählen können.«
Neuer Katalog in Planung
Zur Eröffnung der neuen Dauerausstellung wird es auch einen neuen Katalog geben. Abverkauft wird derzeit der alte, die »Tödliche Utopie«, ein über 800 Seiten umfassendes Nachschlagewerk mit Bildern, Texten, Dokumenten und Daten zum Dritten Reich. Knapp 100 000 Mal ist es insgesamt verkauft worden. »Für ein Geschichtsbuch ist das enorm«, weiß Irlinger.
Keine Führungen, keine Ausstellung. Was nun? Die Museumspädagogen bereiten sich auf die große Wiedereröffnung vor, voraussichtlich Ende kommenden Jahres. Bildungsarbeit wollen er und Kollegin Leonie Zangerl weiterhin anbieten, Geländeführungen am Obersalzberg etwa. »Die Arbeit geht uns bis dahin nicht aus«, sagt Mathias Irlinger.
Kilian Pfeiffer