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Hier im Haus Ludwig-Ganghofer-Straße 10 befand sich, links unten, in den 50er-Jahren das Geschäft von Anna Hasenknopf. (Foto: Ulli Kastner)

Einkaufen im Markt Berchtesgaden in den 1950er-Jahren - Von Hannes Ammon

Berchtesgaden – Nur die älteren Berchtesgadener werden sich noch an Anna Hasenknopf erinnern, die das Haus Nummer 10 in der Ludwig-Ganghofer-Straße besaß, links neben dem »Hofschaffer«, in dem sie im ersten Stock wohnte und wo sie im Erdgeschoss einen kleinen Lebensmittelladen betrieb, einen von der Art, die man später »Tante-Emma-Läden« nannte. Ich habe Anna Hasenknopf noch gut im Gedächtnis, denn die Familie, in die ich hineingeboren wurde, wohnte in den 1950er-Jahren zur Miete im zweiten Stock dieses Hauses; dort durchlebte ich mein erstes Lebensjahrzehnt.


Anna Hasenknopf war eine damals schon ältere, unverheiratete Frau von geradlinigem Charakter, die in allem sehr auf Ordnung bedacht war. Ihre weißen Haare hatte sie streng nach hinten gekämmt und zum Knoten gebunden. Der kleine Laden, den sie ohne angestelltes Personal selbst führte, war immer sauber geputzt und ordentlich aufgeräumt. Von der Straße her trat man ein in den vorderen Teil des Ladenraums, der für die Kundschaft bestimmt war und der gut die Hälfte der Gesamtfläche ausmachte. Durch einen Verkaufstisch war davon der hintere Bereich abgetrennt, in dem sich nur Anna Hasenknopf aufhalten durfte. Auf dem Verkaufstisch standen auf der einen Seite eine altmodische, mechanische Waage und auf der anderen einige angebotene Artikel; die Tischfläche dazwischen blieb frei für den Verkauf.

Damals wurde man noch bedient

Anders als heute war der Lebensmitteleinkauf immer ein Bedienvorgang, und die meisten Artikel des Grundbedarfs, wie etwa Mehl oder Reis, Zucker oder Salz, unverpackt. Anna Hasenknopf hatte dafür größere Behälter und von dort füllte sie die gewünschte Ware in eine Spitztüte aus Papier, die sie von einer Schnur über der Verkaufstheke riss. Das geschah aber mit Zurückhal-tung, denn selbst eine Papiertüte besaß Wertigkeit. Plastik war als Verpackungsmaterial noch unbekannt.

Mit jeder Verpackung ging man sparsam um und verwendete sie nach Möglichkeit mehrfach. Oder man brachte ein Gefäß von zu Hause mit. Wenn wir zum Beispiel Marmelade brauchten, dann schickte mich meine Mutter mit einer kleinen Glasschüssel in den Laden. Anna Hasenknopf wog das leere Glas, befüllte es mit einem Schöpflöffel aus einem großen Zentis-Eimer, wog noch einmal, berechnete die Differenz der beiden Wiegevorgänge und ermittelte im Kopf den Zahlbetrag. Wenn daheim das Maggi-Fläschchen leer geworden war, dann wurde ich damit in den Laden geschickt. Anna Hasenknopf drehte oben die Kappe ab und befüllte aus einer großen Maggi-Flasche das kleine Fläschchen. Ich erinnere mich, dass wir über all die Jahre nur dieses eine Fläschchen hatten. Auch den Essig kauften wir auf solche Weise. Vieles, was heute die Umweltschützer zu Recht fordern, zum Beispiel Ressourcenschonung, Abfallvermeidung, Nachhaltigkeit und neuerdings auch »unverpackt«, waren damals noch unbekannte Begriffe, die aber dennoch das Handeln leiteten.

Für das Bezahlen hat Anna Hasenknopf die einzelnen Posten auf einen kleinen, länglichen Block notiert und abschließend alles zusammengezählt. Für das Geld hatte sie auf ihrer Seite des Verkaufstisches in der Schublade eine einfache Kassette. Der kleine längliche Block erfüllte noch eine weitere Funktion. Darauf machte sie ihre Notizen, wenn jemand nicht gleich bezahlen konnte und deshalb etwas anschreiben ließ. Dieser Zettel wurde dann seitlich auf einen Haken gespießt. Anschreiben ließen manche Kunden zum Beispiel in den Tagen vor der Lohnzahlung, wenn das Haushaltsgeld bereits ausgegangen war. Damals gab es noch keine Girokonten, und dieses Anschreiben war so etwas wie ein Vorläufer des Dispokredits.

Große Supermärkte waren noch unbekannt

Große Supermärkte waren noch unbekannt, doch dafür gab es in beachtlicher Anzahl solche kleinen Läden, wie den von Anna Hasenknopf. Das Angebot und die Preise waren in diesen Läden überall in etwa gleich. Man fand sie in der Ortsmitte Berchtesgadens, aber auch an dessen Rändern. Zum Beispiel in einem kleinen Haus in der Bahnhofstraße gleich unterhalb von VW-Buchwinkler, Frau Hecht im Holzhäusl gegenüber dem Luitpoldpark, Frau Kronacker im Nonntal, Familie Führer an der Doktorbergstraße, neben dem Gymnasium den Scherer Schorsch. Diese Reihe ließe sich fortsetzen, auch in die Außenorte hinein, wo es in jedem Dorf mindestens einen gab. Wo immer man auch wohnte, man brauchte nicht mit dem Auto zum Einkaufen zu fahren (die meisten besaßen ohnehin kein Auto), weil fast jeder einen Lebensmittelladen in fußläufiger Nähe hatte.

Die Läden waren in aller Regel inhabergeführt; für den jeweiligen Inhaber und dessen Familie war dieser Laden die wirtschaftliche Existenz, von der man leben musste, aber auch leben konnte. Große Reichtümer konnte man damit nicht anhäufen, aber es reichte bei gutem Wirtschaften für das Auskommen. Wie so ein gutes Wirtschaften aussah, konnte ich bei Anna Hasenknopf beobachten, wenn sie sich in ihrer Wohnetage aufhielt. Dort trug sie in der kalten Jahreszeit, um an der Heizung zu sparen, einen Hausmantel. Ganz verzichtet hat sie aufs Heizen zwar nicht, aber sie beschränkte es auf die »gute Stube«, in der ein Schürofen für Holz und Briketts stand. Aber auch dort heizte sie nicht tagsüber, sondern erst an den Abenden.

Frische Brot- und Backwaren hatte Anna Hasenknopf nicht im Angebot, die besorgte man sich in den Bäckerläden. Anders als heute waren das damals keine Verkaufsfilialen einer großen Kette, sondern kleine Familienbetriebe, bestehend aus dem Ladengeschäft vorne zur Straße und der dahinterliegenden Backstube. Auch hier war es so, dass so ein Geschäft die Familie, der es gehörte, ernährte.

Um 1960 eröffnete mit dem »KONSUM« in der Dr.-Imhof-Straße das erste Selbstbedienungsgeschäft. Ich erinnere mich noch, dass es ganz ungewohnt war, beim Betreten des Geschäftes nicht mehr persönlich begrüßt und dann bedient zu werden, sondern dass man sich ganz anonym eines der aufgestellten metallenen Einkaufskörbchen nahm, in das man dann die aus den Regalen genommenen Waren legte. Das Angebot war hier deutlich breiter, und auch die Preise waren, zumindest zum Teil, günstiger. Dieser erste »KONSUM« ist jedoch bei weitem noch nicht zu vergleichen mit dem, was die modernen Supermärkte heute bieten. Schon seine Grundfläche war, gemessen am heutigen Standard, geradezu bescheiden klein. Es gab auch keinen ausgewiesenen Kundenparkplatz und auch noch keine Einkaufswägen, sondern nur die metallenen Körbe, und am Ende des Einkaufs legte man seine Ware noch nicht auf ein Kassenband, sondern auf ein Tischchen. Die großen Kassen, die dort standen, waren noch nicht strombetrieben, was bedeutete, dass die Kassiererin jedes Mal, nachdem sie mit der rechten Hand den Preis einer Ware eingetippt hatte, mit der linken Hand eine seitliche Kurbel drehen musste. Mag dieser erste »KONSUM« im Rückblick auch noch so altmodisch erscheinen, er galt damals als hochmodern, und er bedeutete den Beginn einer neuen Ära. Bald folgte mit dem »Kaisers Kaffee Geschäft« in der Metzgergasse ein zweiter Selbstbedienungsladen.

Das Einkaufen war jetzt einfacher geworden, aber auch unpersönlicher. Man kaufte nicht mehr bei einer bestimmten Person ein, zum Beispiel bei Anna Hasenknopf, sondern bei einer Handelsgesellschaft. Weil so eine große Firma ganz anders kalkulieren konnte, fiel es den kleinen Läden zunehmend schwer, sich daneben wirtschaftlich zu behaupten. Das Neue, das hier an-gebrochen war, verdrängte nach und nach das Bisherige. Eines nach dem andern verschwanden die kleinen Geschäfte.

Einkauf mit der App

Die frühen Selbstbedienungsläden wie jener »KONSUM« wurden später von den Discountmärkten außerhalb der Ortsmitte mit Parkplätzen für den Großeinkauf in den Schatten gestellt. Neuerdings steht sogar diesen Geschäften durch innovative Vertriebswege, wie den Lieferdiensten eine bisher so nicht gekannte Konkurrenz ins Haus. Man geht nicht mehr einkaufen, sondern bestellt und bezahlt zu Hause mittels App auf dem Handy, und bekommt die Ware dann direkt an die Wohnungstür geliefert. Das geflügelte Wort, dass nichts beständiger ist als der Wandel, hat auch im Lebensmittelhandel seine Gültigkeit. Darüber zu jammern wäre nutzlos. Aber dennoch, wenn ich in der Ludwig-Ganghofer-Straße an dem Haus vorbeigehe, das einst der Anna Hasenknopf gehörte, denke ich gerne zurück an jene Zeit, wie ich als kleiner Bub in ihren Laden trat, wie wir uns in die Augen schauten und sie mich fragte, nachdem sie meinen Gruß erwidert hatte: »Na, Hannes, was darf's denn sein?«

fb/red

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Im Dannerhaus direkt gegenüber dem Marktbrunnen befand sich einmal das Lebensmittelgeschäft Grüsser. Jetzt gibt es dort den Bäckerladen der Bäckerbrüder. (Foto: Archiv der Marktgemeinde Berchtesgaden)
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