Die Welt sei aus den Fugen, verkündete der Künstlerbundvorsitzende Christoph Merker. Selbstverständliche und lieb gewordene Themen hätten sich in Luft aufgelöst. Die Frage sei nun, ob nichts Wichtigeres zu tun sei, als in diesen wackeligen Zeiten eine Kunstausstellung zu eröffnen. Die Frage sei zwar nicht neu, aber in der Vergangenheit immer weiter weg gedriftet. »Heute steht sie wieder präsent vor uns. Wer weiß, ob wir bei der nächsten Jahresausstellung das Licht anmachen können.« Sie werde, so Merker, sicherlich wieder im Sommer stattfinden, denn wer wisse, ob die Heizungen funktionieren werden.
Trotz der widrigen Umstände wolle man nun Kunstwerke sehen. »Denn wir spüren, dass Kunst nicht nutzlos ist.« Dass sie auf alle Fragen eine Antwort liefere. »Kunst ist ein Experimentierfeld für das Leben.« Und eine Kunstausstellung sei ein Lernort, weil man sich beim Betrachten der Arbeiten selber besser kennenlerne, durch die magische Kraft der Kunst, war Merkers These. Und er schloss daraus, dass der Mensch in diesen Zeiten nicht weniger, sondern mehr Kunst brauche, als Therapie gegen den Wahnsinn, »der dort draußen herrscht«.
»Haben wir nichts Besseres zu tun, als uns mit Kunst zu beschäftigen?« Marktbürgermeister Franz Rasp griff die Gedanken seines Vorredners in seinem Grußwort auf und gab selbst die Antwort: »Heute nicht.« Wenn die Welt aus den Fugen geraten sei, könne die Kunst durchaus ein Kitt sein, um sie wieder zusammenzufügen. Die Ausstellung beeindrucke ihn, der sich im Vorfeld mit den Werken vertraut gemacht hatte. Respekt bekundete der Rathauschef vor allem vor dem Handwerk, das die Künstler mitbrächten, um ihre in Teilen durchaus spektakulären Werke zu schaffen.

Der Berchtesgadener Künstlerbund, inzwischen über ein Jahrhundert alt, hatte im langen Zeitraum seines Bestehens noch nie eine so homogene Struktur. Hinter den »Altmeistern« formieren sich jüngere bis junge Kollegen, die allesamt für ein außerordentlich farbiges Kaleidoskop der Jahresausstellung sorgen. Gerhard Passens, ein Meister des Großformates, bewunderte zur Ausstellungseröffnung die filigranen, feingliedrigen Schnitzarbeiten des Kollegen Lutz Hesse, ohne Neid, mit anerkennendem Respekt. In der Tat, und das nicht erstmals, ziehen die Skulptürchen des gebürtigen Thüringers berechtigt viel Aufmerksamkeit auf und die Frage nach sich: Wie kommt ein Bildhauer, dessen Laufbahn zwar mit Tierfiguren, allerdings mit der Kettensäge als Werkzeug, begonnen hat, zu diesen wunderbaren Winzigkeiten? Aber Lutz Hesse kann durchaus auch größer, beispielsweise Landschaftsausschnitte wie das »Ganghoferfeld« und das »Kind«, ein bestechend schönes Ganzkörperporträt seiner damals gut zweijährigen Tochter.
Ein paar Schritte weiter zeigt Friedrich Schelle ebenfalls ein Kinderporträt. Auch die Büste von »Charlotte« überzeugt mit Ausdrucksstärke. Außerdem präsentiert Schelle auch wieder Geschichten, die er mittels Relief erzählt. Besonders angenehm aufgefallen ist dem Berichterstatter »Unten Oben«.

Gerhard Passens, dessen »wetterbeständige« Arbeiten man bis in den Oktober hinein auf einem Skulpturenweg auf dem Gelände des »Kulturhofes Stanggass« sehen kann, hat hier »unter Dach« großformatige Stücke in Holz, von denen der »Artist« den Berichterstatter am meisten beeindruckte. Genau wie die »namenlosen« Objekte von Felicia Däuber, die auch diesmal ein »Hingucker« sind, zumal die Künstlerin hier auch Rundungen zulässt.
Zuverlässig Schönes erwartet den Betrachter in der Nische, die der Malerin Carola Thiersch vorbehalten ist. Bestechende Landschaften, von denen »Toskana« oder »Franken im Nebel« besonders beeindrucken. Auch Siegfried Gruber enttäuscht nicht seine längst große »Fangemeinde«, lässt in seine fast typischen »Vegetationen« blicken und präsentiert sich beispielsweise bei »Drei Frauen« als Maler, der viele Facetten vorweisen kann. Das kann zweifelsohne auch Dieter Barth, der zwei Bilder aus den 1960er-Jahren in seine Kollektion aufgenommen hat, die den Künstler von seiner »impressionistischen« Seite her anstrahlen. Ein wenig gewohnte Düsternis liefert wieder Inka Langer zum Malerblock.
Christoph Merker positioniert sich offensichtlich zunehmend als Objektkünstler, reiht gebrauchte und unabsichtlich mitgewaschene Papiertaschentücher in geometrisch exakte Struktur oder ist auch der »Herr der Ringe« mit seinen Gemüsebündlern aus Gummi. Und Regina Sebold offeriert ein schönes metallenes Tier, das, weil die Schöpferin dieses maritimen Wesens keinen Anhaltspunkt gibt, vielleicht ein Rochen sein könnte.
Bildhauer Walter Ziegler indes präsentiert sich wieder als Drechsler von fragilen, sehr zerbrechlich wirkenden Gefäßen, die mit außergewöhnlichen Formen sowohl die Bewunderer wie auch die ewigen Skeptiker auf den Plan rufen mit der Frage: Wie hat er das gemacht?
Niemand soll vergessen werden. Nicht Hannes Stellner mit »male an female«, nicht Elisabeth Sebold mit »(be)patient« oder Gregor Passens, der seinen »Kong Bozetti« in mehreren Variationen zeigt. Christina Schelle zeigt gewohnt formschöne Objekte und Fotografien von lichtreflektierendem Glas, in denen das Motiv der diesjährigen Einladungskarte unschwer erkennbar ist. Kathrin Fraas bedient keine in jüngster Vergangenheit gewachsenen Sehgewohnheiten. Collagen aus Papier sind diesmal ihr Thema, die sie auch in einem großen »Collagen-Ensemble« auftreten lässt.

Ganz hinten, aber nicht übersehbar ist wieder das bunte Refugium von Stefan Rohrmoser platziert, der diesmal »im Großen« gearbeitet hat bei seiner »Frau mit Siebenschläfer«, doch auch sein originelles, Selbstbewusstsein ausstrahlendes Federvieh posieren lässt.
Gäste der Künstlerbundausstellung sind in diesem Jahr Kian Bartels und Theresa Öttl, zwei ehemalige Schnitzschüler. Bartels zeigt ein mit »WHAT THE BOX« betiteltes Objekt, Theres Öttl unter anderem zwei schöne Büsten von »Oma und Opa«. War es Absicht der Künstlerin oder Wille der Ausstellungsgestalter, dass die Blicke des betagten Paares in eine jeweils andere Richtung gehen?
Die Jahresausstellung des Berchtesgadener Künstlerbundes ist noch bis zum 28. August zu sehen und jeweils täglich von 15 bis 18 Uhr geöffnet, samstags zusätzlich von 10 bis 12 Uhr.
Dieter Meister