Maria als mütterliche Fürsprecherin nimmt in der katholischen Kirche eine wichtige Rolle ein. Keine andere Gestalt in der Bibel ist so häufig und vielfältig dargestellt worden. Viele marianische Sinnbilder sind dem Hohen Lied des Alten Testaments entlehnt, da man Sulamith, die Braut Salomos, geradezu auf Maria bezog. Die Einstellung zu Maria war in der Gegenreformation eines der offenkundigsten Kriterien, das Katholiken von Lutheranern unterschied, sodass überall Marienkirchen und Marienwallfahrten entstanden. Die Geschichte des Marienbildnisses ist zugleich eine Geschichte der Darstellungstypen und eine Geschichte der Marienfrömmigkeit. Sich wandelnde Haltungen brachten auch einen Bedeutungswandel der bildlichen Darstellungen mit sich.
Zu Beginn des Vortrags standen die antiken Muttergottheiten, denn bereits in der Frühgeschichte der Menschheit kannten fast alle Völker eine mütterliche Gottheit, eine Art Urmutter, die als Spenderin des Lebens galt – in Ägypten die Isis, in Vorderasien die Kybele. Im Christentum gab es nur den männlichen Schöpfergott, so der Referent. Für die junge Kirche stellte sich das schwerwiegende Problem, dass missionierte Völker den Glauben nur oberflächlich annahmen und nach wie vor ihren Muttergottheiten huldigten. Eine umfassende Etablierung des Christentums sei erst mit der Grundlegung der Marienverehrung durch das Konzil von Ephesos im Jahr 431, bei dem Maria in einem Dogma zur Gottesgebärerin erhoben wurde, möglich gewesen.
Der Referent spannte in seinem gut einstündigen Vortrag einen weiten Bogen, in dem er kenntnisreich und mit vielen Fotos die verschiedenen Themenbereiche und Facetten der Mariendarstellungen vom frühen Christentum über die »schönen Madonnen« der Gotik bis zur Neuzeit präsentierte und sie mit Darstellungen und Bildnissen vor Ort verknüpfte. So befinde sich die wertvollste Marienfigur Berchtesgadens, eine Verkündigungs-Madonna um 1520 aus der Werkstatt von Veit Stoß, beispielsweise im Wittelsbacher-Schloss Berchtesgaden. Die unbefleckte Empfängnis Marias könne man im Deckengemälde der Wallfahrtskirche Maria Gern bestaunen, am Hochaltar der Stiftskirche sei die triumphale Auffahrt Marias – mit Strahlenkranz um ihr Haupt, von Engeln umjubelt – in einer Darstellung von Johann Spillenberger zu bewundern.
Das interessierte Publikum nutzte am Ende der detaillierten Ausführungen bereitwillig die Möglichkeit, mit Fragen an Alfred Spiegel-Schmidt manche Aspekte des kurzweiligen Abends noch zu vertiefen oder zu erweitern.
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