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Zoologe Dr. Wolfgang Scherzinger hat Jahrzehnte für den Nationalpark Bayerischer Wald gearbeitet und lebt in Bischofswiesen.

Nach illegaler Wilderei 2017 am Saalachsee: Zoologe Scherzinger präsentiert Skelett-Rekonstruktion der Wildkatze

Berchtesgaden – Weltpremiere für Luchs Alus: Das Skelett des im September 2017 ohne Kopf und ohne Pfoten gefundenen Tieres am Saalachsee bei Bad Reichenhall wurde rekonstruiert. Zoologe Dr. Wolfgang Scherzinger stellte es bei einem Vortrag im Nationalparkzentrum Berchtesgaden zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor. Die Rekonstruktion des mutwillig getöteten Tieres hatte mehrere Jahre in Anspruch genommen.


Als Luchs Alus vor viereinhalb Jahren am Saalachsee gefunden wurde, stand schnell fest: Das Tier war gewildert worden. Experten wiesen im Landeskriminalamt München Geschossteile nach. Der Täter, der den Kopf und die Vorderläufe des streng geschützten Raubtieres abgetrennt hatte, wurde nie gefasst. Auf Hinweise war im Jahr 2017 eine Belohnung von 15 000 Euro ausgelobt worden.

Wolfgang Scherzinger beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Luchs. Er hat intensiv den Nationalpark Bayerischer Wald und die dortige Lebenswelt erforscht, war maßgeblich an dessen Entwicklung seit Anfang der 1970er-Jahre beteiligt. Der gebürtige Österreicher lebt seit 2008 in Bischofswiesen.

Scherzinger spricht dem Luchs gute Chancen zu, sich wieder anzusiedeln. Die Gegnerschaft gegen die Wildkatze scheint in der öffentlichen Wahrnehmung kleiner zu sein als beim Wolf. Doch Landwirte dürften anderer Meinung sein. Trotz allem: Es gibt in den Bundesländern Ansätze zur Konfliktmilderung. In Thüringen werden Schäden an Schafen oder Ziegen durch Luchsübergriffe ersetzt. Allerdings: Zwischen 2004 und 2017 gab es nur einen Schadensfall. In der Schweiz dürfen Schaden stiftende Luchse entnommen werden, wenn Haus- oder Nutztiere in erhöhtem Maß gerissen werden, obwohl zuvor Herdenschutzmaßnahmen installiert worden waren, sagte Wolfgang Scherzinger.

Erste Erfolge bei der Wiederansiedlung von Luchsen in den 1970er-Jahren stimulierten zu zahlreichen Folgeprojekten, etwa im Bayerischen Wald. Die Luchs-Population im Jura wird auf 140 Exemplare geschätzt, im Alpenraum liegt die Anzahl bei rund 160 Individuen, so der Zoologe. Scherzinger beschäftigt sich seit Jahren mit dem Schicksal von Luchs Alus, dessen Fell und dessen rekonstruiertes Skelett bei der Vorstellung im »Haus der Berge« großes Interesse unter den Besuchern weckte.

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Luchs Alus rekonstruiertes Skelett. (Fotos: Kilian Pfeiffer)

Metallsplitter gefunden

Alus Kadaver war im September 2017 im Fundzustand an ein Schweizer Institut für Zootomie und Forensik übergeben worden. Nach Erstbegutachtung, Computertomografie und Röntgenaufnahmen lag der forensische Bericht knapp drei Wochen später vor. Fest stand, dass der Luchs männlichen Geschlechts war. »Die Bauchhöhle war mit einem scharfen Messer aufgetrennt, geöffnet und leer geräumt worden«, sagte Scherzinger. Die Erdleiche sei maximal zwei Wochen lang im feuchten Sand am Saalachsee gelegen, der Todeszeitpunkt wird demnach bereits auf August datiert. »Es war definitiv keine Wasserleiche.« Metall-Splitter waren beim Röntgen entdeckt worden, zudem waren Kunststoffstücke in Höhe der Brustwirbel nachweisbar. Nach Beschädigungen am Skelett und der Ausschussöffnung lässt sich ein Frontalbeschuss mit Einschuss im Brustbereich rekonstruieren.

Luchs Alus war im März 2014 im Schweizer Jura gefangen worden, damals rund fünf Jahre alt. Im April wurde er besendert im italienischen Tarvis freigelassen. In den Südalpen stellten Experten im darauffolgenden Dezember den Senderverlust des Tieres fest. Im April 2015 tauchte der Luchs wieder auf und löste eine Fotofalle im Grenzgebiet zwischen Bayern und Österreich aus. Ein halbes Jahr später wurde er das erste Mal im Landkreis Berchtesgadener Land gesichtet. Das letzte Foto von Luchs Alus stammt aus dem Mai 2017 im deutsch-österreichischen Grenzgebiet. Experten hatten den Luchs als Skelettmodell aus den Originalknochen rekonstruiert. Neben dem Skelett, dessen Kopf und Vorderläufe fehlen, zeigt Scherzinger auch ein vollständig erhaltenes Luchsskelett. Luchse erreichen je nach Art Kopf-Rumpf-Längen von 70 bis zu 120 Zentimetern und Schulterhöhen von 36 bis 70 Zentimetern. Die Wildkatzen bringen im Durchschnitt 25 Kilo auf die Waage. Es gibt auch deutlich schwerere Exemplare von über 30 Kilogramm.

Hohes Unfallrisiko

Dass Luchse, wie Alus vom Saalachsee, gewildert werden, ist keine Seltenheit. Zweithäufigste Todesursache bei Luchsen ist der Verkehrsunfall aufgrund des dichten Straßennetzes. Scherzinger sagte: »Eine Populationsvernetzung wird durch das hohe Unfallrisiko durch den Straßen- und Bahnverkehr praktisch unmöglich.« Die Motive zur Tötung von Luchsen im Sinne jagdlicher Selbsthilfe seien vielfältig: Die Befürchtung von Mindereinnahmen aus der Revier-Verpachtung, deutlich verringerter Abschusszahlen oder gar der Einstellung der Rehjagd seien nur einige Gründe.

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Das Originalfell von Luchs Alus.

Schwierige Situation

Dass es Luchse im südostbayerischen Raum auch in Zukunft nicht leicht haben dürften, darauf lässt die bereits seit Wochen intensiv und emotional geführte Wolfdebatte schließen. »Wolf, Bär und Luchs sind verschwunden. Wir haben uns bereits daran gewöhnt, dass es so wenige Arten gibt«, sagte Scherzinger. Allerdings ist es ausgewiesenes Ziel, den Luchs wieder anzusiedeln.

Der Bund Naturschutz fordert ein groß angelegtes Wiederansiedlungsprojekt und kreuzt damit die Interessen der bayerischen Landwirte. Die Wildkatze steht auf der Roten Liste Deutschlands. 2020 wurde der Luchs von »extrem selten/stark gefährdet« hochgestuft auf »vom Aussterben bedroht«. Für 2022 ist der Eurasische Luchs, einer von insgesamt vier Arten der Gattung, in Österreich zum Tier des Jahres ernannt worden.

Auch wenn auf den illegalen Abschuss von Luchsen hohe Strafen bis hin zu Gefängnis drohen, fallen gerichtliche Urteile eher mild aus, weiß Scherzinger. Der Eurasische Luchs, der vor allem in Mitteleuropa beheimatet ist, genießt in den EU-Ländern hohen Schutzstatus. Der Freistaat Bayern erkennt den Luchs als Leitart für die Entwicklung eines »Habitat-Verbundsystems« an. Für den Bau von Grünbrücken, Abweis- und Leitzäunen hat der Freistaat rund 16 Millionen Euro investiert, wie das Bayerische Umweltministerium bereits im Jahr 2018 mitteilte.

Wolfgang Scherzinger sagte, benötigt würden Managementpläne »pro Luchs«, zudem »griffige Absprachen« mit Jagdverbänden, Jagdpächtern, Landwirten und Tierhaltern – um sowohl das Ziel eines Europa-umspannenden Verbundsystems von Luchs-Lebensräumen als auch praxisgerechte Konfliktlösungen erzielen zu können. All das sei grundlegende Voraussetzung für »eine breite Akzeptanz des Luchs«, die die größte Wildkatze Europas darstellt.

Das Luchs-Skelett ist als Dauerleihgabe ab sofort im »Haus der Berge« zu sehen.

Kilian Pfeiffer

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