Bildtext einblenden
Dr. phil. Albert Hirschbichler forscht seit Jahren zu Berchtesgadens Geschichte. (Fotos: Kilian Pfeiffer)

Reichenhaller Autor und Bergsteiger, Dr. phil. Albert Hirschbichler gilt als Kenner der Region

Berchtesgaden – Forscher, Bergsteiger, Maler und Literaten verschafften Berchtesgaden seine heutige Bekanntheit, weiß Dr. phil. Albert Hirschbichler. Der Reichenhaller Autor und Bergsteiger, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist, gilt als Kenner der Region im südöstlichsten Teil Deutschlands. Vor Kurzem hat er gemeinsam mit der Fotografin Marika Hildebrandt das Buch »Berchtesgaden und seine Bergwelt« veröffentlicht.


Wenn die Naturschönheiten überschwänglich gelobt werden, weiß man, dass man sich in Berchtesgaden befindet. Der Ort gilt als eine der meistbesuchten touristischen Regionen. Wäre es ohne Kunst und Wissenschaft gar nicht so weit gekommen?

Dr. Albert Hirschbichler: Jahrhundertelang haben die Menschen die Berge ja gefürchtet. Sie galten als Wohnstätte wilder Tiere, Dämonen oder sogar Drachen. Lawinen und Muren verschütteten die Handelswege. Die Berge waren höchst unnütze Landschaftsformen. Das änderte sich im ausgehenden 18. Jahrhundert. Die Schweiz wurde das führende Reiseland. Immer mehr Touristen aus ganz Europa waren von der Ursprünglichkeit der Landschaft und der Großartigkeit der Berge hingerissen. Maler und Literaten waren die Wegbereiter. Reiseberichte und Bilder von Malern trugen wesentlich dazu bei, dass sich das Reisen ins Gebirge etablierte – aus Lust und nicht nur aus wissenschaftlichen Gründen.

 

»Die Gegenden von Salzburg-Berchtesgaden, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten der Erde.« Das hat der deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt geschrieben. Er gilt als einer der bekanntesten Berchtesgaden-Entdecker. Was war das für eine Zeit, in der Berchtesgaden Bekanntheit erlangte?

Hirschbichler: Die Geschichte Berchtesgadens nimmt ihren Anfang mit der Gründung eines Augustiner-Chorherrenstifts zu Beginn des 12. Jahrhunderts. Als Urzelle gelten das ehemalige Klostergebäude, das heutige Schloss und die Stiftskirche. Die Klostergründer riefen Siedler ins Land, die als Leibeigene des Klosters ihnen zugewiesene Flächen als Lehen bewirtschafteten. Ein festgesetzter Teil der Erträge, aber auch Geld, musste als Zins abgeführt werden. Jahrhundertelang lebte die Bevölkerung mehr schlecht als recht von der Landwirtschaft, später von der Arbeit im Salzbergwerk und der Holzversorgung der Salinen-Sudpfannen in Schellenberg und Berchtesgaden. Geldmangel und Armut waren die Gründe für das Aufkommen des Berchtesgadener Holzhandwerkes. Die Erzeugnisse wurden in ganz Europa vertrieben, bis nach Übersee. Verleger machten Riesengewinne, den eigentlichen Erzeugern in Berchtesgaden blieb wenig. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erlebte Berchtesgaden einen Wandel wie nie zuvor in seiner jahrhundertelangen Geschichte. Das viel beklagte Ende der Fürstpropstei durch die Säkularisation schuf die Voraussetzungen zu einer längst überfälligen Entwicklung in dem bis dahin fast völlig abgeschiedenen Klosterstaat: die Öffnung nach außen. Nachdem in Berchtesgaden in sieben Jahren viermal die Besitzverhältnisse wechselten, kam es 1810 endgültig zu Bayern. Der Aufschwung konnte beginnen.

 

Forscher, Bergsteiger, Maler und Schriftsteller entdeckten nach und nach das südöstlichste Fleckchen Deutschlands. Hatte das auch damit zu tun, dass das Hochadelsgeschlecht der Wittelsbacher den Ort zu seiner Sommerresidenz gewählt hatte?

Hirschbichler: Ich denke, das geht parallel. Das eine hat mit dem anderen wohl nichts zu tun. Aber natürlich haben sich »Geldige« oder Adlige gerne da niedergelassen, wo es am schönsten ist. Das Gebäude der Chorherren wurde 1818 zum Zweck einer Sommerresidenz umgebaut. Als Jagdstützpunkte übernahmen die Wittelsbacher das heutige Gasthaus auf der Halbinsel St. Bartholomä am Königssee, ebenso wie das Wimbachschloss. Die Fürstpröpste übten an beiden Orten schon zuvor die Jagd aus. Am Königssee ließen sie von Treibern das Wild von den umliegenden Abhängen in den See hetzen, wo sie es bequem von Booten aus abschießen konnten. Das waren andere Zeiten und andere Sitten. Das Wimbachtal scheint besonders wildreich gewesen zu sein und wurde deshalb auch »Thiergarten« genannt. Einige Gehminuten vom Schloss entfernt ließ Bayernkönig Maximilian II. zwischen 1850 und 1855 die Königliche Villa erbauen. Seine beiden Söhne Otto und der spätere Märchenkönig Ludwig II. verlebten dort öfter ihre Sommerferien. Nach der Nutzung durch die Wittelsbacher zunächst noch vom Wittelsbacher Ausgleichsfonds verwaltet, wurde es 1975 an einen Privatmann veräußert. Heute sind darin Eigentumswohnungen eingerichtet.

 

Sie waren früher selbst begeisterter Bergsteiger. Die alpine Erschließung der Berchtesgadener Alpen liegt aber viel länger zurück. Die erste in der Literatur festgehaltene touristische Bergbesteigung stammt von einem Ingolstädter Gelehrten vor knapp 250 Jahren.

Hirschbichler: Als erste touristische Bergbesteigungen rund um Berchtesgaden finden sich die 1785 veröffentlichten Berichte des Ingolstädter Gelehrten Franz von Paula Schrank. Seine Exkursionen waren noch echte Forschungsunternehmungen. Sie führten ihn auf den Schneibstein (2 277 Meter), den Reinersberg (2 169 Meter) und das Hohe Laafeld (2 069 Meter), ins Watzmannkar und auf das Seehorn (2 322 Meter). In seinem Werk »Flora Berchtesgadensis« beschrieb er über 500 Kräuter und Pflanzen. 1799 bis 1801 studierte ein gewisser Valentin Stanig Theologie in Salzburg. Dieser Name hat die Erschließung der Berchtesgadener Alpen nachhaltig geprägt. Valentin Stanig sammelte auf seinen Touren Blumen, machte meteorologische Messungen und führte landschaftliche Vermessungen durch. Er besuchte als erster Tourist den Untersberg, den er 1 800 sogar im Winter bestieg, weil er wissen wollte, »wie es ober dem Nebel seyn möchte«. Ein Jahr später bestieg Stanig den Hohen Göll (2 522 Meter) über die steile Nordostflanke vom Eckerfirst aus – auf ziemlich derselben Route, über die heute der »Salzburger Steig« vom Purtschellerhaus zum Gipfelgrat verläuft. Die Watzmann-Mittelspitze und der Hohe Göll waren die bedeutendsten Unternehmungen Stanigs in den Berchtesgadener Alpen, dem im selben Zeitraum die viel beachtete zweite Besteigung des Großglockners gelang.

 

Viele erstmals aufgezeichnete Erstbesteigungen fallen in das frühe 19. Jahrhundert: Schönfeldspitze, Hochkalter und Watzmann-Südspitze. 1881 war es Johann Grill, der »Kederbacher«, der die Watzmann-Ostwand das erste Mal durchstieg. War das die Zeit der alpinen Entdeckungen?

Hirschbichler: Die erste Durchsteigung gelang dem Ramsauer Johann Grill. Sein Hausname war »Kederbacher«. In 14 Stunden führte er den Wiener Otto Schück aus dem Eisbachtal durch die 1800 Meter hohe Bartholomäwand zum Gipfel der Mittelspitze. Mit dieser Leistung war Kederbacher (1835 bis 1917; Anm. d. Red) der Zeit in seinen Heimatbergen um Jahre voraus. Die schwierigste Stelle des Kederbacherweges an der Schöllhornplatte, die nach dem ersten Opfer der Wand im Jahr 1890, Christian Schöllhorn, benannt wurde, erreicht annähernd den vierten Schwierigkeitsgrad. Kederbacher war dann der erste Wirt des 1888 eröffneten Watzmannhauses. Als letzten herausragenden Erschließer der Berchtesgadener Alpen im 19. Jahrhundert muss man Ludwig Purtscheller nennen. Ihm gelang 1885 die zweite Begehung der Watzmann-Ostwand mit dem heute üblichen Ausstieg zur Südspitze. Auf sein Konto gehen Erstbesteigungen einiger abgelegener Hochköniggipfel. Im Winter 1884 absolvierte er mit Kederbacher zusammen die erste Winterersteigung der Watzmann-Mittelspitze. In seinem Tourenbuch sind 1 700 Touren festgehalten, darunter neben vielen Auslandsbergfahrten die erste Besteigung des Kilimandscharo.

 

Neben Naturwissenschaftlern entdeckten auch Maler und Zeichner die Gegend. Berchtesgaden wurde zu einem beliebten Treffpunkt von Künstlern aus ganz Europa.

Hirschbichler: Vereinzelte bergsteigende Naturwissenschaftler waren die Ersten, die am Ende des 18. Jahrhunderts das Berchtesgadener Land aufsuchten. Ihnen folgte eine größere Zahl von Malern und Zeichnern. Der naturwissenschaftlichen und der alpinen folgte die künstlerische Entdeckung. Ab etwa 1835 war Berchtesgaden schon zu einem beliebten Treffpunkt von Landschaftsmalern aus ganz Europa geworden. Die bildlichen Darstellungen der Gebirgswelt stießen auf allgemeines Interesse. Der große Romantiker Caspar David Friedrich, Carl Rottmann, der Sachse Ludwig Richter, Moritz von Schwind, Karl Spitzweg und einer der bedeutendsten Vertreter des deutschen Realismus, Adolph von Menzel, machten Berchtesgaden durch ihre Landschaftsbilder weiten Kreisen bekannt. Der Königssee und besonders der idyllische Hintersee hatten es den Künstlern angetan. Dort gab es eine gastfreundliche Wirtschaft ganz in der Nähe. Ab 1879 wurde das Fleckchen zu einem Künstlermagneten. Für das vergnügungsfreudige Malervölkchen stand sogar eine Kegelbahn bereit. Neben der Wirtschaft hatten die Maler am Hintersee ein stimmungsvolles Naturidyll fernab der Städte gefunden. Das war genau das, was sie suchten. Ihr bevorzugtes Motiv war die Göllspiegelung am Abend. Eines der berühmtesten Gemälde, die hier entstanden, ist der »Hohe Göll im Alpenglühen« von Carl Rottmann. 1846 gemalt und von König Ludwig erworben, befindet es sich heute in der Neuen Pinakothek in München. Die ehemalige Malerherberge, das Wirtshaus »Auzinger«, gibt es heute noch. Vom fröhlichen Treiben der Maler erzählen nur noch die Chronik und eine getäfelte Stube mit einigen verblassten Bildern.

Bildtext einblenden
Über Geschichte, Brauchtum und Menschen erzählt »Berchtesgaden und seine Bergwelt«.

 

Berchtesgaden fand auch Eingang in die »schöne Literatur«. Romane und Geschichten entstanden. Ein viel gelesener Heimatdichter war Ludwig Ganghofer. Was passierte in dieser Zeit?

Hirschbichler: Im Gefolge der Wittelsbacher kamen viele Literaten ins Land. Die Geschichten und Romane über Berchtesgaden fanden Leser in ganz Deutschland. Der meistgelesene Heimatdichter Berchtesgadens war Ludwig Ganghofer. Er stammt aus Kaufbeuren. Er hatte selbst nie seinen Wohnsitz in Berchtesgaden. Mehrere Sommeraufenthalte inspirierten ihn, die Geschichte der ehemaligen Fürstpropstei in geschichtlichen Romanen darzustellen: »Das Gotteslehen«, »Die Martinsklause«, »Der Ochsenkrieg«, »Schloss Hubertus« oder »Der Mann im Salz« heißen sie. Sie spielen alle im Berchtesgadener Raum, jeweils in einem anderen Jahrhundert. Ludwig Ganghofer vermischt Historie, Sage und romanhafte Erfindung zu Geschichten. Von Kritikern wurden sie belächelt, erzielten aber höchste Auflagen. Bis 1969 erreichten seine Bücher eine Gesamtauflage von 32 Millionen. Einige davon wurden verfilmt. Ludwig Ganghofer schrieb an die 100 Romane und starb 1920 in Rottach-Egern am Tegernsee. Einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller war ein Freund Ludwig Ganghofers, Richard Voß (1851 bis 1918), der viele Jahre seines Lebens in seinem Haus in Königssee verbrachte. Für mehrere seiner Bücher wählte er Berchtesgaden als Schauplatz. Bei den Kritikern standen sie ebenfalls nicht hoch im Kurs. »Zwei Menschen« wurde sein bekanntestes Werk. Das Buch wurde dreimal verfilmt. Darin benutzt er die von ihm verehrte Wirtin der Pension »Moritz« am Obersalzberg, Mauritia Mayer, als Vorbild seiner Heldin Judith Platter vom ehemaligen Platterhof. Es erschien noch eine Reihe von Erzählungen und Mundartdichtungen verschiedener Autoren. Sie erlangten aber alle keine vergleichbare Bekanntheit. Das Andenken an die beiden bekanntesten Heimatdichter Berchtesgadens wird in Straßennamen, etwa bei der Ludwig-Ganghofer-Straße in Berchtesgaden und dem Richard-Voß-Weg in Schönau, hochgehalten.

Dr. Albert Hirschbichler, Marika Hildebrandt, »Berchtesgaden und seine Bergwelt«, Plenk Verlag, 34,80 Euro.

Kilian Pfeiffer

Mehr aus Berchtesgaden