Walter Lindes Großvater Rudolf Wucherer hatte das Grundstück am Schiedköpfl 1926 gekauft und dort ein Gebäude im Villenstil errichten lassen (siehe unten). Dauerhaft bewohnt war das Gebäude in all den Jahren nicht, aber für Erholungsaufenthalte wurde es immer gerne genutzt (siehe unten). Auch die Familie von Walter Linde, die in Köln wohnte, kam regelmäßig nach Berchtesgaden. Ab 1943 diente das Schiedköpfl dann Walter Lindes Geschwistern und seiner Mutter als Zufluchtsort, nachdem sie wegen der zunehmenden Luftangriffe in Köln evakuiert worden waren. Walter selbst besuchte zu dieser Zeit das Maria-Theresien-Gymnasium in München und wurde zur Flak eingezogen.
Bei Luftangriff im Bunker
Im Februar 1945, drei Monate vor Kriegsende, wurde Walter Linde von der Flak in Mittersendling entlassen, um eingezogen zu werden. Er packte all seine Habe in den Rucksack und stieg in den Zug nach Berchtesgaden. »Aber am Berchtesgadener Bahnhof stand die Militärpolizei. Und ohne Marschbefehl konnte man als Fahnenflüchtiger erschossen werden«, erzählt Walter Linde. Also stieg er an der letzten Haltestelle aus und ging zu Fuß.

Die Einzugspapiere kamen allerdings nie. Und so besuchte Walter Linde einfach das alte Berchtesgadener Gymnasium. »Da waren auch Parteibonzenkinder und die vom Obersalzberg-Elektriker. Ein Riesenauto an der Schießstättbrücke nahm mich auch ab und zu mit«, erinnert sich Walter Linde. Man ließ ihn an der Abzweigung Rennweg aussteigen, wo er ohne Höhenunterschied aufs Schiedköpfl spazieren konnte. Am 25. April 1945 aber hielt das Auto an dieser Abzweigung nicht. Walter wurde an der SS-Kaserne abgesetzt und in den SS-Bunker geschickt. Es war der Tag des großen Fliegerangriffs auf den Obersalzberg. »Woher wussten die, dass ein Angriff kommt?«, fragt sich Walter Linde noch heute.
Als die Bomben fielen, wackelte der Bunker, Licht ging aus und Kerzen wurden angezündet. Dann war Ruhe. »Ich tastete mich den Gang entlang und fand eine endlos lange Treppe, die ich raufging, denn oben war Licht«, erinnert sich Walter Linde. Die Treppe endete im Keller von Bormanns Haus. Da waren Stahlhelme und Gasmasken, wohl von Soldaten, die von Bomben überrascht wurden. Aber auch eine Ecke mit 100 Flaschen »Drei Sterne Hennessy Cognac« entdeckte Walter Linde.
»Ich ging raus und bald kam eine zweite Bomber-Staffel«, erklärt Walter Linde weiter. Ihm blieben 30 Sekunden bis zum Einschlag der ersten Bomben. Ohne Eile ging er die Treppe wieder runter. »Unten sagte ich der Frau Bormann: Ihr Haus ist etwas von einer Bombe beschädigt.« Die kannte Walter Linde, weil er mit seiner Mutter einmal zu Kaffee und Kuchen bei ihr eingeladen war.
Hermann Göring als Bunkernachbar
Auch Walter Lindes Schwester Erika Walter, die in diesen Tagen ebenfalls am Schiedköpfl weilt, um die Asche ihres verstorbenen Ehemanns auf dem Berchtesgadener Friedhof bestatten zu lassen, erinnert sich noch gut an den Fliegerangriff. »Wir setzten bei dem Angriff Gasmasken auf, weil ja das ganze Tal vernebelt war«, sagt sie. Zusammen mit einigen benachbarten Bauern brachten sie sich im Keller des Schiedköpfls in Sicherheit. »Alle haben geweint und gebetet«, erzählt sie. Passiert ist hier Gott sei Dank nichts.
Dass Walter Linde zu dieser Zeit einen prominenten Nachbarn im Bunker hatte, erfuhr er erst Jahrzehnte später. »Hermann Göring war damals nur 100 Meter entfernt in seinem Bunker unter Hausarrest.« Die Bunker der beiden Rivalen Bormann und Göring waren nämlich nicht miteinander verbunden. Einige Zeit nach dem Luftangriff verließ Walter Linde den Bunker und spazierte hinüber zum Schiedköpfl, wo seine Familie wartete.
Als die SS weg war, die Franzosen und Amerikaner den Obersalzberg aber noch nicht erreicht hatten, schlich sich Walter Linde dann noch einmal in den Bormann-Keller und brachte 23 Flaschen Cognac im Rucksack unter. Um 2 Uhr morgens schleppte er die Beute den heutigen Lindeweg hinunter. Der Schnaps diente als wertvolle Tauschware für Lebensmittel. Denn von dem, was man mit Marken kaufen konnte, wurde man nicht satt. Als mittlerweile 17-Jähriger war Walter Linde ja auch für die Familie verantwortlich, denn der Vater war kurz zuvor beim letzten Fliegerangriff auf Köln umgekommen.
1951 nach Kanada ausgewandert
Von 1947 bis 1951 studierte Walter Linde in Karlsruhe Elektrotechnik. Einfach nur Maschinenbau zu studieren, um später in die vom Urgroßvater gegründete Linde AG einzusteigen, das war ihm zu einfach. Und weil er die Herausforderung immer schon liebte, ging er – mit 17 Dollar in der Tasche und ohne ein Wort Englisch zu sprechen – 1951 nach Kanada. Ein paar Jahre später bot ihm dann eine Linde-Tochtergesellschaft einen Job für Nordamerika an. Lange Jahre war er für den Bau von Sauerstoffanlagen verantwortlich, womit er wieder an eine alte Familientradition anknüpfte. Die größte Anlage sollte Methan synthetisch aus Kohle machen. Die Anlage kostete 65 Millionen Dollar und der Kompressor hatte eine Leistung von 70 000 PS.
Walter Lindes erste Ehefrau verstarb vor rund 30 Jahren, auch ein Sohn ist bereits verstorben. Vier weitere Kinder haben es in beachtliche berufliche Positionen geschafft. Das gilt übrigens für fast alle Mitglieder der Linde-Familie, die in der ganzen Welt verstreut sind. Heute lebt Walter Linde mit seiner zweiten Ehefrau Ruth Hayhoe abwechselnd in Toronto und in Florida. Fünf Jahre haben beide gemeinsam auch in Hongkong verbracht. Ruth Hoyhoe hatte dort eine Professorenstelle. Heute ist sie Professorin an der Universität Toronto und Chinaspezialistin, die die chinesische Sprache perfekt beherrscht.
Täglich am Computer
Die Neugierde hat Walter Linde auch im Alter von 94 Jahren nicht verloren. Täglich kommuniziert und recherchiert er im Internet, schreibt E-Mails und nimmt an Online-Sitzungen teil. Arbeit ist das für ihn nicht, denn nach eigenen Worten hat er eigentlich nie gerne hart gearbeitet. »Andere, die es weit gebracht haben, arbeiten zumeist 18 Stunden am Tag. Ich habe das nie gekonnt«, sagt Walter Linde. Stattdessen verfolgt er das Prinzip der »mission statements«, mit denen man seinen Mitarbeitern die richtige Aufgabe zuteilt. Selbst hat man dann mehr Zeit für anderes. Und so freut sich Walter Linde beispielsweise auch darüber, dass er »immer noch nicht erwachsen ist«. Dafür muss er sich aber gewiss nicht schämen, denn 94-Jährige, die noch so viel Energie haben wie Walter Linde, gibt es sicherlich nicht viele.
Ulli Kastner
Carl von Linde
Carl von Linde, Urgroßvater von Walter Linde und Erika Walter, war Ingenieur, Erfinder und Gründer des weltweit tätigen Linde-Konzerns. Er entwickelte eine Kältemaschine, die Eis für Brauereien erzeugte. Sie ist Grundlage der heutigen Kühlschränke. Mithilfe seines Linde-Verfahrens konnte er als Erster in großem Maßstab Luft verflüssigen. Er gilt als Pionier der Kälte- und der Tieftemperaturtechnik.
Auf Anraten seines Arztes sollte er 1872 nach Berchtesgaden reisen, um sich dort von den Strapazen seiner Arbeit zu erholen. Nach Wochen der Erholung auf dem Salzberg ließ ihn das Berchtesgadener Land nicht mehr los und er kam mit der Familie immer wieder zur Sommerfrische hierher. Im September 1884 kaufte Carl von Linde die Lehen Baumgart und Antenberg und ließ das Unterbaumgart zur Sommerwohnung umbauen. Dort verbrachten die Lindes mit vielen Gästen einige Sommer, bis sie 1888 in die neu erbaute Villa Oberbaumgart umzogen. 1905 wurde das Oberbaumgart verpachtet mitsamt der neu erbauten Pension Antenberg. Carl von Linde und die Seinen gaben Berchtesgaden aber nicht auf, sondern kamen als Gäste ins eigene Oberbaumgart immer wieder.
Das Schiedköpfl
Als das Linde-Feriendomizil Oberbaumgart für die größer werdende Zahl der Kinder und Kindeskinder nicht mehr genügend Platz bot, begann die Geschichte des Schiedköpfls. Hier war einem Bauherrn aus Apolda das Geld ausgegangen und es blieb beim Rohbau. Elisabeth, eine Tochter Carl von Lindes, und ihr Ehemann Rudolf Wucherer entschlossen sich, den Rohbau zu erwerben. Man veränderte die Pläne etwas und ließ den Bau fertigstellen. Das Haus erhielt in Anlehnung an die umliegenden Flur- und Hausnamen wie Schiedlehen, Schiedhäusl oder Schiedbichl den passenden Namen Schiedköpfl.
1995 gründeten die Nachfahren den Familienverbund Schiedköpfl e.V. Der Zweck des Vereins ist die Förderung und Erhaltung des Ferien- und Erholungsheimes Schiedköpfl. Das Haus steht heute allen Vereinsmitgliedern, allen Familienangehörigen und darüber hinaus engen Freunden als Feriendomizil zur Verfügung.