Ulrich Heimann steht in der Küche, aus der Schublade hat er sich ein scharfes Messer genommen. Tags zuvor sind die französischen Wachteln eingetroffen, die er heute auslösen und verarbeiten möchte. »Die Verfügbarkeit einzelner Produkte ist nach Corona teilweise schwierig geworden«, sagt Heimann.
Mit 16 Jahren hat er seine Ausbildung zum Koch begonnen, im Gasthaus »Ochsen« in Fischerbach. Seit über 40 Jahren steht er in der Küche. Vor 27 Jahren erkochte er sich im »Prinz Frederik Room« im Hotel »Abtei« in Hamburg schließlich seinen ersten Stern, nachdem er das Restaurant der kleinen Villa mit zwölf Zimmern sukzessive aufgebaut hatte. Immer in guten Häusern zu Hause, habe sich »der Weg nach und nach vorgezeichnet«, sagt Ulrich Heimann. Die Gourmetküche ist gewissermaßen Heimanns küchentechnische Erfüllung. »Die Denk- und Arbeitsweise ist eine besondere.«
Heimann als neugierigen Menschen zu bezeichnen, charakterisiert seinen Entdeckerdrang für neue Geschmackserlebnisse ganz gut. Er probiert gerne aus, sagt er. Er kombiniert. Er arbeitet mit Essenzen, mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln. Das erwartet die Kundschaft. »Das, was wir in der Gourmetküche tun, richtet sich nicht an die Masse«, sagt er. Das Auge isst mit, heißt es immerzu: In der Gourmetküche ist ästhetisches Bewusstsein unbedingte Voraussetzung.
Zehn Jahre lang kochte Ulrich Heimann in Hamburg. Dort wurde er 1995 mit dem ersten Michelin-Stern bedacht. 30 Jahre war er alt, als er die Inspektoren, die für die Vergabe der Auszeichnung verantwortlich sind, überzeugte. »Das war für mich wie ein unerwarteter Ritterschlag«, sagt er. In der Hafenstadt galt er in der Küche von da an als einer der Besten. »Wenn man sich einen Stern erkocht, erzeugt das Aufmerksamkeit, man wird plötzlich von ganz anderen Leuten anders wahrgenommen«, sagt der leidenschaftliche Berggeher, der seine Liebe zu den Berchtesgadener Alpen nicht verhehlt. Es ist einer der Gründe, wieso er noch immer im südöstlichsten Zipfel des Landes wohnt. »Ich fühle mich hier sehr wohl.«
Ulrich Heimann sagt, dass ein Michelin-Stern niemals das Werk eines Einzelnen sei: »Die Auszeichnung ist immer die Gemeinschaftsleistung der Küche.« Denn ohne seine Mitstreiter – in den zwei Küchen des »Kempinski«-Hotels arbeiten 35 Personen – sei einer alleine nichts. »Die Mannschaft ist das A und O.« Tatsächlich soll der Besuch eines Gourmetrestaurants mehr sein als nur das, was sich am Ende auf dem Teller befindet. »Essen ist Emotion«, sagt der 58-Jährige, in dessen Restaurant »Pur« der Name Programm ist. Der pure Geschmack, so sagt es Heimann.
Man soll erkennen, was auf dem Teller ist. Garpunkt, Konsistenzen und Kreation sind wesentlich: Die Lebensmittel sollen aber von sich aus überzeugen. Service und Atmosphäre, so Ulrich Heimann, sind Teil des Gesamterlebnisses – und mitentscheidend.
Die Schwierigkeit: »tagtäglich abzuliefern.« Der Druck im Nacken ist jeden Tag aufs Neue spürbar. Wer im Sternebereich kocht, muss immer damit rechnen, Besuch eines Inspektors zu empfangen – unangekündigt. »Sie geben sich nicht zu erkennen«, sagt der Gourmetkoch. Für ihn gilt es, den Stern zu halten. Mit den Jahren sei er sensibler geworden, gesteht Heimann. Der Ehrgeiz der Anfangsjahre hat sich zur Routine entwickelt.
Viel wird derzeit über regionale Produkte gesprochen und geschrieben. Seit vergangenem Jahr hat der Guide Michelin zusätzlich den »Grünen Stern« eingeführt, der auf dem stetig zunehmenden Bewusstsein für Regionalität und Ressourcenschonung fußt. Der »Grüne Stern« soll also eine Auszeichnung für Nachhaltigkeit sein.
Wie sieht das Sterne-Koch Ulrich Heimann? »Wir haben internationales Publikum und müssen uns an unseren Gästen orientieren«, sagt Heimann. Regionale Produkte seien natürlich vorzuziehen, was der Küchenchef auch tut. Aber mit einem Gourmetrestaurant sind diese nicht immer vereinbar, gesteht er. Oft scheitere es an der schnellen Beschaffung und dem eingeschränkten Angebot. Die Wachteln, die der Küchenchef gerade vorbereitet, sind Beweis dafür. Wie ein Geschenk verpackt, kamen sie frisch geliefert aus Frankreich auf dem Obersalzberg an.
Als »Brotzeit« hat Ulrich Heimann die derzeitige Menüfolge, die bis zu sieben Gänge beinhaltet, betitelt. Das hängt vor allem mit Heimanns Hobby zusammen. Seine größte Leidenschaft nämlich ist das Berggehen. Die Belohnung nach all der Plackerei, den Gipfel zu erreichen, ist eine »Brotzeit«: Riesengarnele, Seezungenfilet, Rücken vom Kaiserkalb, Fourme d'Ambert, eine alte, französische Edelschimmelsorte. Das Küchenteam zaubert die kleinen Kunstwerke auf den Teller, zudem gibt es verschiedene »Grüße aus der Küche«, Teller mit kulinarischen Überraschungen.
Ulrich Heimann ist es wichtig, im Restaurant und beim Gast zu erscheinen. Ein kurzer Plausch mit dem Chefkoch – auch das ist Teil des Gourmeterlebnisses.
Kilian Pfeiffer