Ein »Altern in Würde« wünscht sich Andreas Roloff für die »Hindenburglinde«. Der Stamm des Baumes ist eine Wucht: Mit 3,5 Metern Durchmesser setzt die Linde Andreas Roloff in ehrwürdiges Erstaunen. Die »Hindenburglinde« steht seit Jahrhunderten an derselben Stelle, sie hat Kriege überstanden und Stürmen getrotzt. »Sie ist bei ihrem Umfang fast vollkommen intakt«, sagt der Baumexperte, Leiter des Kuratoriums Nationalerbe-Bäume. Mit gut erhaltenem Ursprungsstamm und »riesiger Originalkrone« weist die Linde sieben mächtige Äste auf, ein jeder mit über einem Meter Durchmesser. Zum Vergleich: Bei den Bayerischen Staatsforsten werden Bäume mit über einem Meter Durchmesser als »Methusalembäume« bezeichnet. Sie dürfen ihren Lebensabend im Wald verbringen und werden nicht gefällt. Bei der »Hindenburglinde« haben allein die Äste Methusalembaum-Dimensionen.
Andreas Roloff hatte gemeinsam mit der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft (DDG) und der Eva-Mayr-Stihl-Stiftung auf nationaler Ebene eine Initiative ins Leben gerufen, die Uralt-Bäume schützen soll. »Wir haben für diese Bäume eine große Verantwortung. Sie sind wichtiger Lebensraum und wir müssen alles daransetzen, sie der Nachwelt zu erhalten«, sagt Roloff.
In Deutschland gebe es womöglich keinen einzigen über 1000 Jahre alten Baum. Roloff weiß, weshalb: »Unsere Sicherheitserwartung ist inzwischen zu hoch geworden: Zu viele dieser Bäume werden gekappt, um sie vermeintlich verkehrssicher zu machen.«
Der Hindenburglinde kam der Mensch bislang nicht in die Quere. Die viel befahrene B 305, die Deutsche Alpenstraße, führt nur wenige Meter entfernt am Baum vorbei auf 850 Metern Meereshöhe. Der 31-Meter-Riese, dessen Baumkrone mehrere Hundert Quadratmeter mit Schatten bedeckt, steht auf einem Grundstück der Bundesstraßenverwaltung, vertreten durch das Staatliche Bauamt Traunstein.
Dessen Behördenleiter Christian Rehm sagt: »Ich hatte schon jede Menge Termine auf Baustellen und zum Baubeginn – aber noch nie wegen eines Baumes als Nationalerbe.«
Kein Wunder: In Deutschland gibt es aktuell nur 17 Nationalerbe-Bäume. Die »Hindenburglinde« ist erst der zweite bayerische Baum, der als solcher ausgezeichnet wurde. Die steinalten Bäume sind aus wissenschaftlicher Sicht »hochinteressant«, sagt Andreas Roloff. Im Fokus stehen dabei Baumbiologie, Genetik und Pathologie. Aber auch als Lebensraum und Archetypen sind Vertreter jeweiliger Baumarten für die Forscher von besonderem Interesse. So arbeitet das Kuratorium eng zusammen mit dem Bayerischen Amt für Waldgenetik, das nur 35 Kilometer entfernt von Ramsau stationiert ist.
Auch Ramsaus Bürgermeister Herbert Gschoßmann kennt die »Hindenburglinde« seit der ersten Klasse. »Sie wurde damals als 1000-jährige Linde bezeichnet«, erinnert er sich. Ganz so alt ist sie zwar laut Experte Roloff noch nicht, das Potenzial dazu habe sie aber.
Kreisheimatpfleger Johannes Schöbinger ist für die Recherche zur Linde ins Archiv gegangen und hat den Urkataster von 1817 herangezogen. Das Land war damals erst sieben Jahre bayerisch. »Schon zu fürstpröpstlichen Zeiten nutzten die benachbarten Lehensbauern den Bezirk als Freiweide für ihr Vieh«, weiß Schöbinger. Das überaus reichlich vorhandene Laub wurde als Laubstreu für den Stall genutzt. Als um 1850 die ersten Reisebeschreibungen erschienen, firmierte der Baum noch als »Große Linde«. 1900 erschien eine wissenschaftliche Forschung des königlich-bayerischen Inspektors Friedrich Stützer in Buchform. Schon damals bezeichnete er die Linde als »gigantischen Baumriesen«. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung und im Rahmen des aufkommenden Führerkults verlieh die Gemeinde Ramsau im März 1933 dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Ehrenbürgerwürde. »Zugleich wurde als Dank für die Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler die bisherige Große oder Tausendjährige Linde in Hindenburglinde umbenannt«, so der Kreisheimatpfleger.
Eine Tafel ziert nun die Wiese vor dem Baumgiganten in der Ramsau. Der Landkreis Berchtesgadener Land wird sich ab sofort um die Pflege des Baumes kümmern.
Kilian Pfeiffer