Bildtext einblenden
Elena Dengel und Christoph Melzl brechen auf. Ihr Ziel ist die westukrainische Grenze. (Fotos: Kilian Pfeiffer)
Bildtext einblenden
Noch ein Paket, dann ist der Transporter voll.

Ein Zuhause für fünf Kriegsflüchtlinge

Schönau am Königssee – Weil ihm selbst nach einer Naturkatastrophe geholfen wurde, will der Schönauer nun anderen helfen. Der sechsfache Vater Christoph Melzl will bis zu fünf Kriegsflüchtlinge von der ukrainischen Grenze abholen, mit nach Hause nehmen und – »so lange wie nötig« – bei sich zuhause wohnen lassen. Die Zimmer dafür hat der Malermeister in seinem großen Haus schon hergerichtet.


Als im Sommer der Regen nicht mehr aufhören wollte und Christoph Melzls Haus »komplett abgesoffen war«, war die Hilfe groß. 15 freiwillige Unterstützer arbeiteten eine Woche lang bei ihm im Haus, das Melzl vor 40 Jahren bauen ließ, um den immensen Schaden zu beseitigen. »Mir geht es wieder gut. Ich bin dankbar für die geleistete Arbeit. Jetzt bin ich dran und möchte helfen«, sagt der 63-jährige Handwerksmeister. Der Vater von sechs Kindern im Alter zwischen 13 und 28 Jahre wohnt mit vieren davon unter einem Dach in Schönau am Königssee. Platz ist genug. Er sagt: »Alle leiden in der Ukraine wegen des Krieges. Ganz besonders Mütter und Kinder.« Deshalb stellt er das Untergeschoss des Hauses zur Verfügung, hat mehrere Zimmer zu kleinen Wohnungen umfunktioniert: Bett, Schrank, Tisch, Stühle, ein Rückzugsort für diejenigen, die er nun von der ukrainischen Grenze abholen will. »Wenn die Menschen in der Ukraine auf der Straße stehen, müssen wir zusammenrücken.«

Draußen auf dem Hof steht Melzls VW-Transporter. In diesem ist Platz für fünf Personen, die mit nach Deutschland wollen. Den Familienmitgliedern will er ein »Quartier auf unbestimmte Zeit« geben. Für die Hinfahrt hat Melzl vorgesorgt: Der Siebensitzer ist bis oben hin bepackt mit frischen Lebensmitteln wie Trockenwurst, Keksen und Konserven, mit Windeln, Kinder- und Damenkleidung. Alles ist in Kartons sortiert, auf Deutsch beschriftet sowie in kyrillischer Schrift. Elena Dengel liest vor: »Kindernahrung, Kekse, flüssig Püriertes«. Elena Dengel ist Christoph Melzls Mitarbeiterin. Die gebürtige Ukrainerin hat selbst eine Familie in der Ostukraine, mitten im Krisengebiet. Mutter und Vater leben in Luhansk, ihre Schwester in Charkiw. Die Schwester schickt täglich Eindrücke aus ihrer Stadt per WhatsApp.

Bilder und Videos, auf denen die Schäden des Krieges zu sehen sind, Donnergrollen am Himmel inklusive. Seit Tagen schon will Dengels Schwester mit ihrer Familie flüchten. Bislang haben sie es noch nicht geschafft, die Heimat zu verlassen. »Vom Osten nach Westen ist es ein weiter, gefährlicher Weg«, sagt Elena Dengel, die seit 17 Jahren in Deutschland wohnt und perfekt Deutsch spricht. Sie macht sich große Sorgen. Gerne hätte sie ihre Familie um sich, die derzeit Angst um das eigene Leben hat. Christoph Melzl kennt die Eltern und die Schwester, sie waren schon mal zu Besuch. »Ganz liebenswerte Leute«, sagt der Schönauer.

Gemeinsam mit Elena wird er »das Abenteuer« antreten. Knapp 1000 Kilometer sind es bis zur westukrainischen Grenze. »Ich weiß nicht, was uns dort erwarten wird«, sagt Christoph Melzl und zuckt dabei mit den Schultern. Damit der Transporter voll wird, hat er Lebensmitteleinzelhändler, Hotels und eine Apotheke abgeklappert. Ein Privatmann hat mehrere hundert Euro gegeben. »Unglaublich, wie hilfsbereit die Menschen sind«, sagt Elena Dengel.

Die 38-Jährige spricht Ukrainisch, Deutsch, Englisch, auch Russisch. Für den abenteuerlichen Trip sei das Gold wert, meint Christoph Melzl. Er hatte bereits Kontakt zum Landratsamt Berchtesgadener Land, hat dort angekündigt, Kriegsflüchtlinge bei sich unterbringen zu wollen.

Christoph Melzl will alles, was er im Auto mitführt, an Betroffene vor Ort übergeben. »Ich habe mir fest vorgenommen, persönlich zu helfen. Egal, wie lange das Verteilen am Ende auch dauert.« Erfahrungen in der Auslandshilfe hat Christoph Melzl zwar keine, das Ganze ist ein Ausflug mit ungewissem Ausgang.

Aber der Schönauer ist zuversichtlich, dass alles klappen wird. Mit zwölf Stunden Fahrzeit rechnet er bis zum Ziel. Wann er wieder da sein wird, das weiß er noch nicht. Einen anstehenden Malerauftrag hat er verschoben. »Der Auftraggeber hat Verständnis dafür, dass jetzt die Menschen im Vordergrund stehen und das Wohnzimmer erst mal warten kann.«

Kilian Pfeiffer