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Stellvertretender Nationalparkleiter Daniel Müller sieht in Sachen Wildbestandsregulierung am Königssee Handlungsbedarf. (Foto: Nationalparkverwaltung)

Nationalpark will »Effektivität jagdlicher Maßnahmen erhöhen«

Schönau am Königssee – Die Feststellung des Bayerischen Obersten Rechnungshofs (ORH), dass es im Nationalpark rund um den Königssee zu viele Hirsche, Rehe und Gämsen gibt, dürfte Folgen haben. Daniel Müller, stellvertretender Nationalparkleiter und Leiter des Sachgebiets Parkmanagement, bestätigte jetzt gegenüber dem »Berchtesgadener Anzeiger« die zu hohen Bestandszahlen und sieht »dringenden Handlungsbedarf«. Die »Süddeutsche Zeitung« hatte das Thema letzte Woche aufgegriffen und Inhalte aus dem vom ORH noch unter Verschluss gehaltenen Prüfungsbericht an die Öffentlichkeit gebracht.


Für den Nationalpark Berchtesgaden ist es plötzlich wieder eine ganz andere Situation. Kürzlich noch vom Verein »Wildes Bayern« an den Pranger gestellt, weil man angeblich zu viel jage und Schonzeiten missachte, bekommt man jetzt von der anderen Seite Schelte. Im Gegensatz zu den juristischen Auseinandersetzungen mit den Tierschützern, die die Nationalparkverwaltung alle gewonnen hat, will man den aktuellen Feststellungen des ORH nun jedoch nicht widersprechen. »Auf Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Daten stimmen wir mit der Einschätzung des ORH überein, dass im Revier Königssee die Bestandszahlen an Rotwild sehr hoch sind und hier ein dringender Handlungsbedarf besteht«, sagte stellvertretender Nationalparkchef Daniel Müller auf Anfrage des »Berchtesgadener Anzeigers«.

400 Stück Rotwild in St. Bartholomä

Festgestellt hatte der ORH dies im Rahmen seiner Prüfung, der sich ziemlich alle staatlichen Stellen in regelmäßigen Abständen unterziehen müssen. Die Prüfung fand mit Unterbrechungen von März 2021 bis Juli 2022 statt. Geprüft wurden unter anderem die Bereiche Haushalt, Nationalparkmanagement, Wald und Wild, Informationsgebäude sowie Umweltbildung. Die Prüfungsergebnisse wurden der Nationalparkverwaltung mitgeteilt, allerdings nicht der Öffentlichkeit. Über die Veröffentlichung einer Prüfung – auch dieser Prüfung – entscheidet grundsätzlich das sogenannte Kleine Kollegium. Hier gibt es bislang keine Entscheidung.

Für Rotwild und Gams führt der Nationalpark jährlich Zählungen durch. Diese Datengrundlage stand dem ORH ebenso zur Verfügung wie die Ergebnisse des forstlichen Gutachtens zur Situation der Waldverjüngung. Letzteres zeigt den Einfluss des Wildes auf die Verjüngung der Wälder, auch in der Managementzone des Nationalparks. Ermittelt werden die Wildbestände beim Rotwild durch regelmäßige Zählungen an den Winterfütterungen. Hieraus ergaben sich Probleme vor allem im Bereich St. Bartholomä und gegenüber im Reitl. Hier gibt es aktuell rund 400 Stück Rotwild, waldverträglich wären maximal 155. Kaum Probleme gibt es dagegen in den anderen Nationalpark-Revieren. So stellte man in den Revieren Au-Schapbach und Hintersee laut Müller »konstante beziehungsweise nur leicht wachsende Rotwild-Bestände« fest.

Und welchen Einfluss hat der zu hohe Wildbestand am Königssee auf die Entwicklung der Verbissschäden? Dazu teilte der ORH auf Anfrage des »Berchtesgadener Anzeigers« mit: »In einem Teilbereich des Nationalparks ist ein so hoher Wildbestand (gilt für Reh-, Rot- und Gamswild) vorhanden, dass das Aufwachsen von Mischbaumarten dadurch verhindert und damit eine Zielsetzung des Nationalparks (Erhalt eines standorttypischen Bergmischwalds) gefährdet wird.« Forstprüfer hatten den Zustand der Vegetation untersucht. Das Hauptaugenmerk richtete man auf die Verjüngung der Baumarten, die für den Erhalt und Aufbau eines klimastabilen Bergmischwaldes relevant sind. Der dabei festgestellte Wildverbiss aufgrund zu hoher Tierzahlen hatte laut ORH zur Folge, dass Baumpflanzungen der Nationalparkverwaltung aus den Vorjahren wirkungslos blieben.

Waldentwicklung und Tierwohl

Daniel Müller sieht die Probleme ebenso. Er erklärt: »Das Ökosystem Wald lebt von seiner Struktur, die geprägt wird durch die Altersstruktur sowie durch die Mischung von Baumarten. Diese Struktur wird durch zu hohe Wilddichten und die daraus resultierenden Verbissschäden insbesondere im Winter und Frühjahr zerstört und die natürliche Dynamik der Strukturentwicklung verhindert. Unsere gesetzlich verankerte Aufgabe ist es, die natürliche Waldentwicklung der durch die zurückliegende menschliche Nutzung stark überprägten Bergmischwälder zu begleiten. Hier sind wir in vielen Bereichen des Nationalparks auf einem sehr guten Weg. Aber dennoch: Nicht überall haben wir dieses Ziel erreicht und lokal müssen wir unsere Strategien anpassen. Aber es geht nicht nur um den Wald, sondern auch um das Wild. Das Tierwohl ist uns wichtig, zu hohe Wildbestände wirken sich negativ auf die Gesundheit des Gesamtbestandes aus.«

Müller weist aber auch darauf hin, dass Rotwildbestände bayernweit stiegen – dies sei also kein nationalparkspezifisches Phänomen »und alle Akteure stehen hier vor großen Herausforderungen«. Doch gerade am Königssee sei das Management des Rotwildes aufgrund der besonderen Kessellage, der schwierigen Erreichbarkeit, der großen Kernzonenanteile sowie der Lernfähigkeit der Tiere eine komplexe Aufgabe. Müller: »Wir beobachten diese Situation genau und haben aufgrund der Entwicklung der letzten Jahre den Fokus der Forschung inhaltlich und personell auf genau dieses Thema gelegt. Wir gehen davon aus, dass wir künftig auf Basis neuen Wissens und mit Unterstützung unserer Partner und Experten Konsens über die besten Lösungen im Sinne der Nationalparkidee finden.«

Das fordert auch der ORH. Der teilt auf Anfrage des »Berchtesgadener Anzeigers« mit: »Grundlage hierfür muss ein kontinuierliches und aussagekräftiges Monitoring von Wildbestand und Verbisssituation auf wissenschaftlicher Grundlage sein. Dazu bedarf es einer effektiven Wildbestandsregulierung unter Ausschöpfung aller rechtlichen und personellen Möglichkeiten. Eine Neuausrichtung der Wildfütterungs- und Jagdstrategie ist erforderlich, um eine wirksame Regulierung des Rotwildbestandes im Bereich Königssee zu gewährleisten.«

In der Nationalparkverwaltung weiß man aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre in der Wildbestandsregulierung unter Beteiligung von Wildbiologen aber auch: Einer stärkeren Bejagung sind aufgrund der besonderen Voraussetzungen in einem Nationalpark Grenzen gesetzt. Denn in der Kernzone des Nationalparks, das sind 75 Prozent der Fläche, »fällt ganzjährig kein Schuss«, betont Daniel Müller. Ebenso nicht im Bereich der Winterfütterungen. »Rotwild ist lernfähig, das zeigen aktuelle Auswertungen von GPS-Daten besenderter Tiere am Königssee. Die Tiere halten sich im Spätherbst lange in der Kernzone auf und ziehen mit dem ersten Schnee zügig in die Fütterungen. Zudem verbessert der Klimawandel mit milderen, kürzeren Wintern und geringeren Schneehöhen die Lebensbedingungen der Tiere.«

Nationalparkverwaltung prüft neue Strategien

Keinen Zweifel lässt Daniel Müller daran, dass die Nationalparkverwaltung auf die Feststellungen des ORH reagieren wird. Der Lokalzeitung erklärt er: »Die Nationalparkverwaltung ist in Abstimmung mit dem Bayerischen Umweltministerium aktuell damit befasst, unterschiedliche Anpassungen der Strategien in der Wildbestandsregulierung am Königssee zu prüfen. Ziel sind an den Nationalparkzielen orientierte Bestandsgrößen unter strenger Beachtung des Tierwohles sowie der rechtlichen Rahmenbedingungen. In die Adaptierungen des Konzepts fließen aktuelle Ergebnisse der laufenden, wildbiologischen Studien zum Rotwild am Königssee ein.«

Ob zum Konzept künftig auch die umstrittenen Gatterabschüsse gehören, will Daniel Müller nicht kommentieren. »Eine Bewertung einzelner Methoden ist aus heutiger Sicht noch nicht möglich, wir evaluieren aktuell verschiedene Ansätze.« Auch der ORH hält sich hier mit einer Aussage zurück. »Die konkrete Ausgestaltung des Wildtiermanagements im Hinblick auf die Zielsetzung des Nationalparks liegt im Verantwortungsbereich der Nationalparkverwaltung«, teilt der ORH mit.

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Hochbetrieb an der Wildfütterung Reitl. Im Königsseebereich ist der Rotwild-Bestand aktuell zu hoch. Das sieht nicht nur der Bayerische Oberste Rechnungshof so, sondern auch die Nationalparkverwaltung. (Foto: Bernhard Stanggassinger)

Ulli Kastner