Ein frühes Boot ab 8 Uhr zu erreichen, ist angesichts des Touristen-Ansturms schwierig. Und das Ostwandlager auf St. Bartholomä ist heuer wegen Corona geschlossen. Da wird der Ruf nach einem Bergsteigerboot um 7 Uhr wieder lauter. Doch bei der Bayerischen Seenschifffahrt signalisiert man wenig Begeisterung.
So mancher Alpinist und Wanderer denkt mit Wehmut an die Zeit zurück, in der die Königssee-Schifffahrt noch ein morgendliches Bergsteigerboot eingesetzt hatte. Wer weite Strecken vor sich hatte, der nutzte das Boot gerne. Teufelshörner, Steinernes Meer oder Watzmann-Südspitze über die Ostwand waren so wesentlich leichter an einem Tag zu erreichen. Finanziell gerechnet hat sich das Angebot für die Schifffahrt allerdings nicht, deshalb wurde der Frühkurs bereits vor über 30 Jahren eingestellt.
Der immer wieder einmal zu hörende Ruf nach Wiedereinführung des Bergsteigerbootes wird heuer, im Corona-Jahr, besonders laut. Denn aktuell einen halbwegs frühen Kurs zu erwischen, ist wegen der Touristenmassen, die nach St. Bartholomä oder Salet fahren wollen, sehr schwierig. Besonders herausfordernd ist die Situation aktuell für die heimischen Bergführer, die die Watzmann-Ostwand führen. Denn das von der Alpenvereinssektion Berchtesgaden betriebene Ostwandlager in St. Bartholomä, eine Unterkunftsmöglichkeit für bis zu 30 Ostwand-Aspiranten, ist heuer wegen Corona geschlossen. Die Bergführer und ihre Kunden sind deshalb auf die Königssee-Boote angewiesen. Zahlreiche Ostwand-Aspiranten kommen auch bereits am Vorabend nach St. Bartholomä und biwakieren am Wandfuß oder in der Wand.
Auf teilweise bis zu 30 Personen schätzt DAV-Vorstand Beppo Maltan die Zahl derer, die an schönen Tagen die Nacht unterhalb der Wand verbringen. Das allerdings hält Maltan nicht für problematisch, weil sie seines Wissens die Umwelt nicht belasten würden. Wie der Nationalpark das bewertet, ist nicht bekannt. Für eine Stellungnahme war niemand zu erreichen.
Für die aktuell schwierige Situation der Bergführer hat Beppo Maltan einerseits Verständnis. Andererseits versteht er nicht, warum die Bergführer das Angebot des Alpenvereins, das Ostwandlager selbst zu betreiben, nicht annehmen. »In einem normalen Sommer kann man mit dem Ostwandlanger durchaus schwarze Zahlen schreiben«, sagt Maltan. Aber eins weiß der Sektionschef auch: »Das ist mit viel Arbeit und Aufwand verbunden.«
Das weiß auch Korbinian Rieser, 1. Vorstand des Bergführervereins Berchtesgaden. Der Bischofswieser sagt, dass man sich noch nicht ernsthaft mit dem Gedanken, das Ostwandlager selbst zu betreiben, befasst habe. »Dazu müsste man sich erst einmal ein Konzept überlegen.« Auf jeden Fall wünscht sich Rieser aber die Wiedereinführung eines Bergsteigerbootes, denn das würde die Arbeit der Bergführer deutlich vereinfachen. »Es wäre außerdem nicht nur ein schönes Angebot für die Bergführer, sondern für alle Ostwandgeher und auch die Wanderer«, betont der staatlich geprüfte Berg- und Skiführer, der selbst regelmäßig mit Kunden in der Ostwand unterwegs ist.
Vor allem wird sich die Situation in Kürze noch einmal verschärfen, weiß Rieser. Denn ab Dienstag, 8. September, gilt der Fahrplan für die Zwischensaison. Dann fährt das erste Boot erst um 8.30 Uhr. Anläufe für die Wiedereinsetzung eines Bergsteigerbootes hat die DAV-Sektion Berchtesgaden schon öfters unternommen. Maltan erinnert sich, dass man der Schifffahrt mehrere Modelle vorgeschlagen habe. In einem war vorgesehen, dass der Alpenverein die Anmeldungen entgegennimmt und dann an die Schifffahrt weiterleitet. Herausgekommen ist dabei allerdings nichts. Beppo Maltan lässt sogar ein wenig Verständnis durchklingen, wenn er sagt: »Es rechnet sich für die Schifffahrt nicht. Das wäre zwar bei einem vollen Boot der Fall, bei Schlechtwetter aber fährt man fast leer.«
Dieses Argument erwähnt auch Schifffahrtsdirektor Michael Grießer gegenüber dem »Berchtesgadener Anzeiger«. Nach seinen Worten »funktioniert es nicht, wenn man sagt, dass man nur bei schönem Wetter fährt«. Dazu komme die Belastung des Personals, wenn man eine Stunde länger fährt. Grießer rechnet vor, dass der Arbeitstag für die Schifffahrtler heuer ohnehin länger dauert als in früheren Jahren. Während die Busgäste der vergangenen Jahre zumeist früh am Tag die Rückfahrt angetreten hätten, würden die Individualtouristen, die heuer fast ausschließlich am Königssee anzutreffen sind, wesentlich länger bleiben. »Der Arbeitstag dauert dann für eine Schicht einfach zu lange. Und eine zweite Schicht einzusetzen, rentiert sich wieder nicht.«
Dass auch Bürgermeister Hannes Rasp aus Schönau am Königssee gerne wieder ein Bergsteigerboot auf dem Königssee sehen würde, wird an der Situation wohl nicht viel ändern. Das erste Boot wird wahrscheinlich auch weiterhin erst um 8 Uhr beziehungsweise 8.30 Uhr ablegen. Wer dabei sein will, der muss möglichst bald online reservieren oder sehr früh vor Ort sein und dann halt auf die Abfahrt warten. Im Frühtau wird er dann allerdings nicht mehr zu Berge ziehen.
Ulli Kastner