»Über viele Jahrzehnte haben die Berchtesgadener den Verfall der Friedhofsmauer beklagt«, so Karbacher. Tief beeindruckt seien aber die Besucher von den zahlreichen Portrait-Medaillons, die an die Kriegsgefallenen erinnern. »Auf den Tafeln und in den Nachrufen von damals wurden den Verstorbenen tiefes Andenken und ewige Erinnerung versichert«, sagte Karbacher, der in einem Video den teils schlechten Zustand der Mauer darlegte und in einer Bilder-Collage überwucherte Medaillons und Tafeln, auf denen die Schrift verblichen ist, zeigte.
Viele der Soldaten haben keine Angehörigen mehr. »Die Angehörigen sind wir alle«. Deshalb sei es ihm ein Anliegen gewesen, da etwas zu tun. Auch wenn das Geld zur Instandsetzung zu Beginn fehlte. Nur mit der Unterstützung vieler Freiwilliger, die bereit waren, sich finanziell am Friedhofsmauer-Projekt zu beteiligen, sei es möglich gewesen, insgesamt 18 Gedenktafeln zu ersetzen. Stolz ist Karbacher auf das erreichte Ergebnis. »Ich bin mir sicher, dass das Interesse an der Mauer wieder aufblühen wird«.
Im Laufe der Recherchezeit stand für Karbacher fest, dass das Schicksal der Soldaten, die alle aus dem Talkessel stammten, besonderes Interesse in der Bevölkerung hervorrufen könnte. Viele Hinterlassenschaften der Kriegsteilnehmer hat Karbacher auftreiben können. Etwa ein Vokabelheft eines Königsseers, Josef Moderegger. »Die Berchtesgadener Soldaten bemühten sich durchaus, Französisch zu lernen«. Moderegger war Teilnehmer im Deutsch-Französischen Krieg (1870 bis 1871). Neben den Vokabel-Aufzeichnungen hat Karbacher auch dessen Militärpass ausfindig gemacht. Ein besonderes Schmankerl aber ist die selbst erfundene Lautschrift des Königsseer Soldaten, von der Karbacher eine Kostprobe präsentierte.
Zur Unterhaltung des zahlreich erschienenen Publikums, das sich über Übersetzungen wie »Bortmanne« (Geldbeutel) oder »wuh parle tro wüht« (Sie sprechen zu schnell). »Bitte sparen Sie sich Ihre akademische Häme«, forderte Karbacher. »Denn der Josef ging nie auf das Gymnasium«. Neben dieser einen heiteren Seite der Berchtesgadener Kriegsgeschichte war es vor allem der tödliche Ernst, den der Vortragende beschrieb. So findet sich auf dem Schellenberger Kriegerdenkmal folgender Satz: »Unsere Krieger fielen auf Frankreichs blutigen Feldern«. Wen traf es eigentlich? »Die Söhne der gehobenen Gesellschaft jedenfalls nicht«, so der Referent. Grundsätzlich seien es Bauernsöhne oder Väter gewesen, die in den Krieg zogen.
Die ganze Tragik ging aber nicht vom einzelnen Soldaten aus, sondern von der Familie, die hinter jedem Teilnehmer stand. »Wenn der Vater im Krieg war, war oft die gesamte Existenz des Hofes gefährdet«. Der Ernährer fehlte, die Arbeitskraft, das Geld sowieso. Der Hunger war häufig zu Gast. Deshalb gab es auch in Berchtesgaden ein Unterstützungskomitee, das im besten Fall provisorisch helfen konnte. Anhand eines Bittgesuchs von Margret Hasenknopf vom Wastlerlehen, das Karbacher im Marktarchiv gefunden hatte, verdeutlichte er das menschliche Schicksal, das hier zu finden ist. »Diese Witwe kämpfte mit ihrer Tochter um die nackte Existenz«.
Interessantes förderte Karbacher zu einem gewissen Martin Etti zutage. In einer Chronik der Fachschule für Holzschnitzerei in Berchtesgaden (1914 bis 1919) wird über diese verhängnisvollen fünf Jahre berichtet. Eine abgedruckte Ehrentafel der Schule beklagt den Heldentod von fünf ihrer Schüler, darunter auch Martin Etti. Etti war trotz seines italienisch klingenden Namens ein Berchtesgadener durch und durch. Dessen Großvater war Germsieder im Hofbrauhaus, dessen Vater Schuhmachermeister. Etti war Schüler des dritten Kurses der Schreinerabteilung. 1917 ging es für ihn in den Ersten Weltkrieg. Er war bei der Marneschlacht dabei, ging unversehrt aus der Sommeschlacht hervor. Für die Vernichtung eines englischen Tanks erhielt er das eiserne Kreuz 2. Klasse. Am 25. August 1918 beendete eine Kugel sein noch junges Leben.
Ein besonderes Schicksal ist auch jenes der drei »Laxerbuam vom Haus Sonnenschein«. Drei Gefallene aus dem Zweiten Weltkrieg, vereint auf einer Gedenktafel, jedoch ohne Bild. »Das Schlimme ist, dass es sich um drei Brüder handelte - Franz, Anton und Sebastian«, so Karbacher. Alle drei Brüder im Bild gemeinsam zu vereinen, sei kein einfaches Unterfangen gewesen. Über vertrackte Recherchewege ist Karbacher dann auf einen Verwandten in München gestoßen, Heinz-Anton Lochner, der nicht nur ein Bild hatte, sondern sich auch gleich noch bereit zeigte, einen stattlichen Betrag für die keramischen Portrait-Medaillons zu stiften.
Ein tragisches Leben war das des Hubert Größwang, der im Frechenlehen in Loipl aufwuchs, in Bischofswiesen zur Schule ging und danach eine Spenglerlehre bei der Firma Wendlinger anstrebte. Nach einem schweren Arbeitsunfall, bei dem er sich Verbrennungen zuzog, wurde Größwang verspätet zum Militär eingezogen. Zunächst nach Garmisch-Partenkirchen, weiter nach Straßburg, nach Polen, Stationen waren auch Ungarn und Rumänien. Hubert Größwang betreute in Polen etwa Militärpferde.
Eine Freude sei es für ihn gewesen, als er einen Schulfreund aus Bischofswiesen, Gustl Speckbacher, dort traf. Die beiden jungen Soldaten blieben ab diesem Zeitpunkt als verschworene Freunde eng zusammen. Bis zuletzt. In Rumänien trennte sie ein schwerer Schicksalsschlag: Bei einem gegnerischen Angriff wurde Hubert von einer Granate zerfetzt. Zwei Stunden später wurde er von seinem Freund, dem Gustl, beerdigt. Gustl Speckbacher fiel drei Monate später in Oberschlesien.
Wegen der großen Resonanz soll die Veranstaltung demnächst wiederholt werden. Dann auch mit weiteren, bislang unveröffentlichten Schicksalen Berchtesgadener Kriegsteilnehmer. kp