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Eine Almweide wie hier auf der Mittereisalm ist mit adäquatem Aufwand nicht vor einem Wolfsangriff zu schützen, das betonen die Almbauern immer wieder. Weideschutzzonen und Abschusserlaubnis sollen helfen, die Ansiedlung von Wölfen im Zaun zu halten. In Bayern setzt sich die Politik nun dafür ein. (Foto: Thomas Jander)

Der Wolf bleibt ein Reizthema

Berchtesgadener Land – Auch wenn in den vergangenen Wochen andere Geschehnisse in den Vordergrund gerückt sind, bleibt der Umgang mit Wölfen im Talkessel und darüber hinaus ein Reizthema. Die Gemeinde Ramsau sammelt Unterstützer für ihren Vorstoß einer »wolfsfreien Zone« und auch das bayerische Kabinett bleibt am Thema dran. Nachdem sowohl vom Umwelt- als auch vom Landwirtschaftsministerium deutliche Kritik in Richtung Berlin geäußert worden war, hat der »Berchtesgadener Anzeiger« bei Staatsminister Thorsten Glauber und seiner Kollegin Michaela Kaniber nachgefragt.


Am Rande einer Kabinettssitzung in München hatten sich beide Minister zum Thema geäußert und Forderungen an den Bund gestellt: Konkret forderten die beiden Minister die vollständige Umsetzung der FFH-Richtlinie im Bundesnaturschutzgesetz einschließlich der bislang nicht umgesetzten Möglichkeit der »beschränkten Bestandsregulierung«. Der Bund solle auf die EU-Kommission einwirken »mit dem Ziel einer Herabsetzung des Schutzstatus des Wolfs durch Listung der Art in Anhang V statt Anhang IV der FFH-Richtlinie«.

Anhänge und Richtlinien

Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, kurz FFH-Richtlinie oder Habitatrichtlinie, ist eine Naturschutz-Richtlinie der Europäischen Union und datiert schon aus dem Jahr 1992. Deren Ziel ist es, wild lebende Arten, deren Lebensräume und die europaweite Vernetzung dieser Lebensräume zu sichern und zu schützen. Welche Gebiete für dieses Schutzgebietsnetz ausgewählt werden – genauer, welche Arten und Lebensraumtypen geschützt werden sollen – ist in verschiedenen Anhängen der FFH-Richtlinie aufgeführt.

Anhang IV ist eine Liste von Tier- und Pflanzenarten, die europaweit durch die FFH-Richtlinie unter Schutz stehen, weil sie in ganz Europa und damit auch in den jeweiligen Mitgliedsstaaten, in denen sie vorkommen, gefährdet und damit schützenswert sind. Neben dem direkten Tötungsverbot dürfen auch ihre »Lebensstätten« nicht beschädigt oder zerstört werden. Anhang V listet Tier- und Pflanzenarten auf, deren Rückgang und Gefährdung vor allem durch die Entnahme aus der Natur verursacht wurde und die daher vor weiterer unkontrollierter Entnahme geschützt werden mussten.

Dazu muss noch beachtet werden, dass eine EU-Richtlinie nur Ziele vorgibt, deren Erreichung die Mitgliedsstaaten selbst im nationalen Recht festlegen und umsetzen müssen. Im Gegensatz dazu ist eine EU-Verordnung ein verbindlicher Rechtsakt, der in allen Mitgliedsstaaten direkt gilt.

»Aktionsplan Wolf«

In Bayern ist der Umgang mit dem Wolf im sogenannten »Aktionsplan Wolf« geregelt, der gemeinsam von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium erarbeitet wurde. Ein Sprecher des Umweltministeriums erklärt den jetzigen Stand: »Die bestehende Rechtslage erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen in Einzelfällen die Entnahme von Wölfen. Gründe hierfür können beispielsweise eine Gefährdung von Menschen oder prognostizierte ernste wirtschaftliche Schäden sein. Vor einer Entnahme sind zumutbare Alternativen wie beispielsweise Herdenschutzmaßnahmen zu prüfen und diese einer Entnahme vorzuziehen. Die Entnahme bedarf einer Genehmigung durch die zuständige höhere Naturschutzbehörde.« Die ist für das Berchtesgadener Land die Regierung von Oberbayern, die auch prüft, ob im Einzelfall zumutbare Alternativen gegeben sind. Im Ministerium von Thorsten Glauber ist man der Überzeugung, dass mit der »beschränkten Bestandsregelung« ein weiteres – von der FFH-Richtlinie ohnehin vorgesehenes – Instrument zur Lösung von Herausforderungen geschaffen würde, die mit einer wachsenden Wolfspopulation einhergehen können. Dafür müsste nun der Bund sorgen und entsprechende Möglichkeiten im Bundesnaturschutzgesetz schaffen.

Auch das Ministerium von Michaela Kaniber ist in der Sache schon tätig geworden: Um die Forderung einer Schutzstatusänderung noch besser begründen zu können, sind belastbare Daten über den Erhaltungszustand der Wolfspopulationen nötig. Eine Bewertung des Erhaltungszustandes muss auf lange Sicht grenzübergreifend, also EU-weit je biogeografischer Region und nicht innerhalb eines jeden Landes isoliert erfolgen. Die Ministerin hat sich deshalb auf der »Arge Alp«-Konferenz im Frühjahr für ein Arbeitsabkommen starkgemacht, das den Grundstein für ein gemeinsames staatenübergreifendes Monitoring im Alpenraum legt.

Erhaltungszustand überprüfen

Ebenso macht sie sich dafür stark, den Erhaltungszustand zu überprüfen: Eine Schutzstatusänderung innerhalb der FFH-Richtlinie bringt nach Mitteilung ihres Hauses erst eine Veränderung für die Entnahmemöglichkeiten, wenn der Erhaltungszustand der jeweiligen Tierart als günstig eingestuft wird. Dies ist für Deutschland aber bislang nicht erfolgt, obwohl in Deutschland insgesamt 157 bestätigte Rudel, 27 Paare und 19 territoriale Einzeltiere leben.

Darüber hinaus betont Michaela Kaniber, dass sich der Wolf in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland nicht grenzenlos ausbreiten dürfe. Sie will gesellschaftliche Erwartungen zu Fragen des Natur- und Artenschutzes nicht unberücksichtigt lassen, aber gleichzeitig klarmachen, dass effektiver Artenschutz und die Entnahme von einzelnen »Problemwölfen« sich nicht ausschließen. Das Landwirtschaftsministerium hält fest: »Bei Steigerungsraten von 30 Prozent im Jahr wird sich die Art Wolf auch bei einzelnen Entnahmen in Deutschland prächtig weiterentwickeln.«

Ausdrücklich begrüßt Michaela Kaniber die Ramsauer Initiative für eine wolfsfreie Zone: »Für das Anliegen der Gemeinde habe ich vollstes Verständnis. Wir stimmen darin überein, dass gerade im Alpenraum viele Almen nicht wolfssicher eingezäunt werden können. Auch Herdenschutzhunde sind in einer Fremdenverkehrsregion oft keine Lösung. Aber leider kann ein Gemeinderatsbeschluss europäisches Naturschutzrecht nicht aushebeln. Die Staatsregierung hat sich aber auf mein Drängen hin gegenüber der Bundesregierung dafür einsetzt, dass die FFH-Richtlinie nach Jahrzehnten endlich vollständig in deutsches Recht umgesetzt wird. Damit würde eine schadensunabhängige, beschränkte Bestandsregulierung von Wölfen rechtlich zumindest möglich. Der Bund ist jetzt gefordert, sich endlich bei der EU-Kommission für eine Absenkung des Schutzstatus stark zu machen. Wir handeln aber auch in Bayern: Unsere Weideschutzkommission treibt ihre Untersuchungen im Alpenraum voran. Bis zum Ende des Almsommers 2022 sollen die bislang untersuchten Einzelflächen zu größeren, nicht zumutbar zäunbaren Weidegebieten zusammengefasst und zugeordnet werden. Unser Ziel ist eine Ausweisung von nicht schützbaren Weidegebieten.«

»Nicht schützbares Weidegebiet«

Der Hintergrund: Eine Einstufung als »nicht schützbares Weidegebiet« durch die Weideschutzkommission hat zur Folge, dass bei drohenden Wolfsübergriffen auf Nutztiere auch ohne vorherige Herdenschutzmaßnahmen Ausgleichszahlungen geleistet und weitergehende »Managementmaßnahmen« bis hin zu einer Entnahme, also der Abschusserlaubnis, zügig geprüft werden.

Ramsaus Bürgermeister Herbert Gschoßmann ist jedenfalls schon tätig geworden und hat sich an seine umliegenden Kollegen gewandt. Das Ziel bleibt, dass in möglichst vielen Gemeinden ähnlich lautende Beschlüsse gefasst werden um die Initiative im Idealfall gebündelt, eventuell über den Bayerischen Gemeindetag, »nach oben« zu transportieren.

Thomas Jander