Bildtext einblenden
Der Ettenberger Karl Angerer spricht mit Redakteur Dieter Meister über den Widerspruch von körperlicher Fitness und inneren Zweifeln. Anzeiger-Foto

Der Zwiespalt zwischen Körper und Kopf

Kurz vor der alle überraschenden Rücktrittsmeldung absolvierte Karl Angerer noch Trainingslager in Winterberg und Warendorf. Mit guten Ergebnissen, guten Werten für den Piloten und die ganze Mannschaft. Das hätte ein gutes Omen für die Wintersaison sein können. War es aber nicht.


»Körperlich war ich, waren wir absolut fit«, sagt er. Innerlich sah es allerdings ganz anders aus. Der Tod des Vaters im Frühsommer hat vieles im Leben der Familie, auch bei ihm verändert, sagt Karl Angerer. »Es war wie ein plötzlicher Ruck, und danach kommt die Besinnung auf gewisse Werte. Und die Frage, was wirklich wichtig ist im Leben.«

Nüchtern betrachtet habe er im Kopf alle Fakten für und wider abgewogen, einen langen Denkprozess im Inneren ablaufen lassen, in den er dann die Familie einbezogen hat. Die 72-jährige Mutter, die ohne Führerschein im idyllischen, aber doch abgelegenen Ettenberg lebt, die Ehefrau mit zwei kleinen Kindern. Es fällt viel Arbeit an auf dem Gehöft, Holz muss vorrätig gemacht werden und vieles mehr.

Die Ehefrau hat ihn bestärkt, einfach weiterzumachen. Aber er selbst sah die Grundvoraussetzungen für sich selbst als nicht mehr gegeben. »Natürlich hätte ich weitermachen können, die körperlichen Voraussetzungen waren gegeben. Aber ich hätte den Elan nicht wie die Jahre zuvor aufbringen können. Weil ich im Kopf immer oder zumindest oft anderswo gewesen wäre.« Und die oft monatelange Abwesenheit von zu Hause wollte er nicht mehr haben. Nicht für ihn selbst und nicht für die Familie. Das Weitermachen wäre eines gewesen, das er ungern auf sich genommen hätte, bekennt Angerer.

So stand für ihn der Rücktritt fest, zur Überraschung für seine Mannschaft, für die Trainer, für den Verband. In Oberhof wollte er alle informieren. Eigentlich hatten er und sein Team dort zeigen wollen, dass sie nach der durchwachsenen vorigen Saison wieder voll da sind. »Alle waren wir gut drauf, hatten im Vorfeld gute Anschubzeiten vorzuweisen.« Ein Comeback sollte es werden, das Achtungszeichen setzt.

»Für mich war es eine tolle Zeit«, sagt Karl Angerer. Und er werde die Erinnerungen ein Leben lang bewahren, ist er sich sicher. Der plötzliche Rücktritt kam eigentlich genauso überraschend wie der Einstieg vor 13 Jahren. Trainer Hans Wimmer hat ihn seinerzeit ermuntert, sich im Bob zu versuchen. Der damals 20-Jährige hatte bis dahin keine sportliche Vergangenheit vorzuweisen. Jedenfalls keine, die sich in Ergebnislisten nachweisen ließe. Und Wimmer hat den Anfänger zur bayerischen Meisterschaft gemeldet, obwohl Karl Angerer bis dahin noch keine einzige Fahrt vom Bobstart absolviert hatte.

»Damals war alles noch ein wenig anders«, sagt er jetzt lächelnd. Er habe sich alles selbst erarbeiten müssen, hatte keine Ahnung von Kufen und ihrer Pflege. Mit Zahnpasta hat er die Gleitschienen poliert, weil die Kufenpaste teuer war. Und als er seinen ersten eigenen Bob bekam, war er stolz. Obwohl, und hier kommt wieder das gewinnende Lächeln, das Gerät eigentlich Schrott war und sogar in der Seite ein Loch aufwies, das mühselig geflickt werden musste. Er denke dennoch gerne an die Anfangszeit zurück.

Man lerne auf diese Art sehr viel, sagt der Ettenberger. Überhaupt war er der Schrauber-Typ, der Stunden mit dem Sportgerät verbringen konnte. Das habe wohl der Mannschaft nicht immer gut gefallen, denn die musste natürlich mitschrauben.

Inzwischen gab es klärende Gespräche mit den Trainern, zuförderst dem Bundestrainer, mit der Mannschaft selbstverständlich, für die es ihm besonders leidtut, weil dort auch Hoffnungen auf eine erfolgreiche Saison gewachsen sind. Und auch mit dem WSV Königssee, seinem Heimatverein, dem er wie den Vorgenannten und vielen weiteren viel verdanke.

Jetzt aber steht der Begriff Zukunft für Karl Angerer ganz weit oben. Wie es weitergeht. Eine berufliche Perspektive ist noch in der Findungsphase. Als Zeitsoldat bei der Bundeswehr darf er sich auf Hilfe von dort stützen. Einige (kleinere) Trainerscheine hat er bereits in der Tasche, ein paar andere sollen folgen. Eine konkrete Zukunftslinie gibt es noch nicht. Aber er freue sich auch auf die Zukunft, sagt er. Auf das Erreichen neuer Ziele.

»Ich bleibe dem Bobsport treu«, sagt Karl Angerer. Mit dem Bob- und Schlittensportverband für Deutschland hat er zumindest erst einmal die nächste Saison abgedeckt. Als Testpilot werde er eingesetzt, als Betreuer für die Jugend ebenso. Überhaupt kann sich Angerer eine Arbeit mit dem Bob-Nachwuchs gut vorstellen. Auch, weil er dann etwas von dem, was er erfahren durfte, weitergeben könne.

Karl Angerer gehört zu den Gesprächspartnern der angenehmen Art. Angespannt - entspannt ist der Eindruck des Gegenübers von seiner Person. Und am Ende, als der Boden der Kaffeetasse schon durchschimmert, wird es noch lockerer. »Als ich noch nicht selbst Bob gefahren bin, habe ich Bobfahrer als die größten Idioten gesehen, die in eine Plastikkiste springen und den Berg hinunterrutschen.«

Manchmal, sagt Angerer, habe er auch schon früher ein geregeltes Leben herbeigesehnt: Morgens aus dem Haus gehen und am Abend zurückkehren. Aber dann habe er sehr bald selbst wieder daran gezweifelt, ob er das tatsächlich wolle. DM