Oft ist es haarsträubend, was sich am höchsten Bergmassiv, das sich komplett auf deutschem Boden befindet, in der Hochsaison abspielt. Experten wie Rekord-Ostwandbezwinger Heinz Zembsch, der Ramsauer Bergwachtchef Rudi Fendt oder der Münchner DAV-Referent für das Watzmannhaus, Thomas Gesell, wissen erschütternde Geschichten von überforderten »Bergsteigern« zu erzählen. Da wird das frisch erworbene Klettersteigset erstmals auf dem Hocheck ausgepackt, der Rucksack wiegt fast genauso viel wie sein Träger und die am Watzmann im Sommer überflüssigen Steigeisen baumeln wirkungsvoll am Gurt. »Schlecht ausgerüstet ist heute fast keiner mehr, eher haben die Leute viel zu viel dabei«, sagt Rudi Fendt. Nicht selten zieht der schwere Rucksack den Bergsteiger dann vom Grat in die Tiefe.
Fendt weiß zwar, dass die Schwere der Unfälle insgesamt eher abnimmt, die Anzahl aber steigt linear zur Zahl der Gipfelaspiranten an. Schließlich überschätzen sich viele Bergsteiger an dem 2 713 Meter hohen Berg und dessen langem Grat, der keine Fluchtmöglichkeit bietet. Wer sich konditionell übernimmt, der hydriert schnell und schafft den Abstieg nicht mehr. Dann bleibt nur noch der Ruf nach der Bergwacht.
Dem wollen der Deutsche Alpenverein mit Unterstützung der Sektionen Berchtesgaden und München, der Bergwacht, des Nationalparks und der Bergführervereinigung mit ihrer Kampagne entgegenwirken. Zentraler Teil ist die Herausgabe des Flyers, der ab sofort bei den Sektionen, in den Tourist-Infos, beim Deutschen Alpenverein unter info@alpenverein.de oder als Download unter www.alpenverein.de erhältlich ist. »Wir wollen die Bergsteiger sensibilisieren, auf was sie bei der Planung einer Watzmannbesteigung achten müssen«, sagt Stefan Winter, Ressortleiter Breitenbergsport beim Deutschen Alpenverein. Da regt man beispielsweise an, den Watzmann nicht zu den Boom-Zeiten anzugehen, an denen der Berg völlig überlaufen ist, man warnt vor Unterschätzung des Berges und mahnt eine gründliche Tourenplanung sowie eine hervorragende Fitness an. Vor allem legt man den Bergsteigern auch ans Herz, sich mit einem guten Führer und Kartenmaterial auszustatten.
Im Flyer sind alle möglichen Unternehmungen am Watzmann vom Aufstieg über das Watzmannhaus bis zur Watzmann-Ostwand genau beschrieben. Gewarnt wird vor möglichen Gefahren wie Wetterumschwüngen, Steinschlag und Orientierungsproblemen, vor allem bei der Überschreitung und in der Watzmann-Ostwand. Die Höhe der Auflage beträgt 30 000 Stück. Wie lange das ausreicht, muss man sehen. Denn immerhin nehmen jährlich bis zu 10 000 Bergsteiger die Watzmann-Überschreitung in Angriff, bis zu 1 000 sind es in der Ostwand.
Der Massenandrang führt teilweise auch zu langen Staus am Gipfelgrat, die ein schnelles Vorwärtskommen nicht mehr ermöglichen. Hier sieht Bernhard Kühnhauser, Geschäftsführer der DAV-Sektion Berchtesgaden, eine Hauptgefahr: »Eigentlich müsste ein Watzmannbezwinger wenigstens im II. Schwierigkeitsgrad frei klettern können. Das ist aber leider nicht der Fall. Und weil sich jeder mit dem Klettersteigset einklinkt, geht es halt langsamer vorwärts«. Gerade bei Gewittern oder bei einsetzender Dunkelheit drohen hier Risiken. Schließlich bringt Schnelligkeit oft größere Sicherheit. Freilich heißt das nicht, dass man die Überschreitung in der Rekordzeit von dreieinhalb Stunden, aufgestellt durch Toni Palzer und Philip Reiter, schaffen muss.
Nun hofft »Ostwandkönig« Heinz Zembsch, dass der Flyer nicht noch mehr Bergsteiger zum Watzmann zieht. Vielleicht lässt sich ja ein Teil von ihnen auf die sogenannte »Watzmanntour« umleiten. Denn die Umrundung des Berges von Hütte zu Hütte wird immer beliebter. Und da können auch die ganz Vorsichtigen Klettergurt, Helm und Steigeisen zuhause lassen. Ulli Kastner