Wilde Szenarien
Kleines Bauwerk, große Probleme: Die eine Wand ist mit Moos befallen, die andere mit »3,20 + 10 cm« rosa beschriftet. Aktuell hat die Unterquerung eine Maximalhöhe von 3,20 Metern, bereits für größere Rettungsfahrzeuge zehn Zentimeter zu niedrig. An den Schrägstellen ist die Durchfahrt sogar 40 Zentimeter niedriger. Die Decke hat mehrere Schrammen. »Wir haben schon die wildesten Szenarien erlebt«, sagt ein Anwohner (Name der Redaktion bekannt). Oft hätten sich die Rettungswägen durch die Unterführung gequetscht, »die Antenne war danach verbogen«. Zwar könne im Sommer der Rettungswagen des Roten Kreuzes die Siedlung im Färberwinkl erreichen. Brenzlig hingegen werde ein Einsatz im Winter. Sobald Schnee auf der Straße liegt, kämen die Fahrzeuge nicht mehr durch die Unterquerung. Dadurch würden die Einsätze äußerst umständlich.
Die Umstände erklärt der Anwohner anhand eines medizinischen Notfalls in der Siedlung: »Aufgrund der Schneedecke auf der Straße mussten die Einsatzkräfte vor der Unterführung aussteigen, die restliche Strecke zu Fuß laufen. Allein von dort bis zum ersten Haus mussten die Sanitäter knapp 100 Meter zurücklegen.« Zusätzlich mussten die Einsatzkräfte die ganzen Utensilien schleppen, den Patienten mittels Trage zum Rettungswagen bringen. Erst dann konnte er ins Krankenhaus gefahren werden. »Einsätze wie diese kosten zu viel Zeit. Jede Sekunde im medizinischen Notfall zählt.« Solche Vorfälle seien schon öfter passiert. Vorgekommen sei auch, dass die Sanitäter die Rettungsgeräte in das Notarzt-Auto umräumten. »Auch das ist umständlich und verzögert die Rettung. Die Unterführung ist nicht mehr zeitgemäß.«
»Alles andere als praktikabel«
Ebenfalls verheerend wird laut den Anwohnern eine Brandbekämpfung. Diesbezüglich haben sie sich über den vorbeugenden Brandschutz in ihrer Siedlung informiert. Dabei stellten sie fest, dass zwischen Löschfahrzeug und brennendem Gebäude der Abstand nicht größer als 50 Meter sein darf. Aktuell befindet sich ein Wasserhydrant vor der Unterführung. »Bereits bis zum ersten Haus ist die Grenze überschritten, zumal die Aufbaustrecke der Schlauchleitungen sehr lang ist.« Zwar steht ein weiterer Hydrant in der Siedlung. Doch der Leitungsdruck sei zu schwach. Man müsse die Leitung an die Fahrzeugpumpe anschließen, um den Druck zu erhöhen. Anschließend müsse sie rückverlegt werden. »Für eine Brandbekämpfung ist das alles andere als praktikabel.«
Die Anwohner wollten die Gemeinde auf die Umstände aufmerksam machen. Sie wünschten sich vor drei Jahren eine Erhöhung der Unterquerung. Daraufhin hätten Mitarbeiter der Deutschen Bahn, der Gemeinde Bischofswiesen und der Rettungsdienste das Bauwerk begutachtet. Dabei einigte man sich, den Boden um 20 Zentimeter nach unten zu versetzen. Nach dem Treffen hieß es, die Gemeinde wolle unmittelbar mit der Baumaßnahme beginnen. Doch man müsse auf grünes Licht von der Deutschen Bahn warten, da es sich um ein Bauwerk in ihrem Nahbereich handelt.
Am 12. Oktober 2018 hätte die Deutsche Bahn eine Unbedenklichkeitsbescheinigung abgegeben. »Die Gemeinde hätte mit der Baumaßnahme beginnen können. Passiert ist aber nichts«, sagt ein weiterer Anwohner (Name bekannt). Allerdings ist die rechtliche Situation komplizierter, informiert Bauamtsleiter Hannes Grill auf Nachfrage des »Berchtesgadener Anzeigers«. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung sei ihm nicht bekannt. Er habe gehört, dass ein Bahnmitarbeiter vielleicht eine mündliche Zusage erteilt hat. »Uns liegt aber nichts Schriftliches vor. Wir brauchen eine vertragliche Absicherung, die wir noch nicht haben«, so Grill.
Fundierte Planung
Die Gemeinde wolle die Unterführung am liebsten sofort umgestalten. Aktuell befinde man sich auch mitten in der Planung. Der Baubeginn sei aber frühestens im Herbst 2021 möglich. »Es ist eine schwierige Maßnahme.« Die Gemeinde müsse eine fundierte Planung erstellen, in der alle Behörden beteiligt sind.
Dieser Vorgang nehme viel Zeit in Anspruch, denn »es sind viele Probleme zu berücksichtigen«. Eines davon ist der Oberflächenkanal, der 40 Zentimeter unter der Straße liegt. Man könne den Boden nicht einfach um 20 Zentimeter nach unten versetzen. »Der Oberflächenkanal braucht eine vernünftige Überdeckung. Eine 20-Zentimeter-Schicht reicht hierfür nicht aus. Sonst könnte da etwas zu Bruch gehen«, so Grill.
Des Weiteren müsse man die Beschaffenheit des Kanals überprüfen. Dies könnte, sollten Schäden entdeckt werden, die Maßnahme nochmals verzögern. Hinzu kommt das Wasserrecht: Die Färberwinkl-Siedlung liegt an der Bischofswieser Ache. Für die Umgestaltung des Bauwerks, das weniger als 60 Meter vom größeren Gewässer entfernt ist, benötigt man eine zusätzliche Genehmigung.
Abschließend müsse der Bischofswieser Gemeinderat dem Projekt zustimmen. »Erst wenn wir in allen Belangen vertraglich abgesichert sind, können wir das Bauwerk verändern. Wichtig ist, dass wir etwas tun. Es soll eine Lösung für alle sein«, so Grill.
Nach der Baumaßnahme sollen neben größeren Rettungsfahrzeugen auch Öl-Laster und Möbelfahrzeuge in die Färberwinkl-Siedlung fahren können. »Das ist für uns erst einmal zweitrangig. Wichtiger ist, dass die Rettungsfahrzeuge uns problemlos erreichen können«, sagt ein Anwohner.
Patrick Vietze