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Dr. Axel Drecoll moderierte die Diskussion im Anschluss an den Film mit Dr. Frank Bajohr und Prof. Ulrich Limmer (v.l.). (Foto: Merker)

Total normales Töten

Berchtesgaden – Regisseur Stefan Ruzowitzky wurde für seinen Film »Die Fälscher« mit einem Oscar als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet. Die Dokumentation hat im Rahmen des Obersalzberger Filmgespräches nun seinen neuesten Film »Das radikal Böse« gezeigt. Ruzowitzky versucht in dem Dokumentarfilm, die psychologischen Umstände zu klären, warum jungen Männern ab 1939 in den Einsatzgruppen im Osten Zehntausende von Menschen ermordeten. Nach dem Film gab es eine Diskussion mit NS-Historiker Dr. Frank Bajohr und Filmwissenschaftler Prof. Ulrich Limmer.


Bei den Nürnberger Prozessen wurden die Angeklagten psychologisch untersucht. Die Tests ergaben, dass sie ganz normale Männer ohne psychische Auffälligkeiten waren. Woher kam also die Bereitschaft, die grausamen Verbrechen zu begehen? Stefan Ruzowitzky begibt sich in seinem Film auf die Suche nach der Ursache für das radikal Böse. Mobile und stationäre Einsatzgruppen, Polizeibataillone und Mitglieder der Wehrmacht ermordeten in Osteuropa systematisch jüdische Zivilisten, Sinti und Roma, politisch Verfolgte und Behinderte. Menschen aus der Mitte der Gesellschaft wurden zu brutalen Mördern.

Die Alltäglichkeit des Erschießens

Ruzowitzky zeigt anhand von Briefen und Tagebuchaufzeichnungen die innere Entwicklung der Männer von dem ersten Einsatz bis hin zur gewohnten Alltäglichkeit der Erschießungen. Am Anfang ist das Töten unschuldiger Menschen noch belastend, doch mit der Zeit gewöhnen sie sich daran. Die Zitate aus Originaldokumenten werden begleitet von nachgespielten Szenen. Eine Gruppe Männer in Uniform wird gezeigt, Gesichter in Großaufnahme, während die Texte aus dem Off kommen. Männergesichter, in denen nichts von dem radikal Bösem steckt, die in ihrer Durchschnittlichkeit nichts zu ihrer Fähigkeit zu den entsetzlichen Massenmorden erkennen lässt. Das Böse sieht man den Männern nicht an. Sie stehen in ihren Uniformen herum, lachen, sind nachdenklich.

Manchmal blicken die Darsteller mitten in die Kamera, nehmen beunruhigenden Kontakt zum Zuschauer auf. So, als wäre er mehr als ein Beobachter. Dazwischen lässt Ruzowitzky amerikanische Psychologen zu Wort kommen. Sie versuchen, die Gründe für diese schrecklichen Taten zu erhellen. Einmal war der Gruppendruck groß. Dann gab es die Beeinflussung durch die anderen. Wenn alle töten und es allgemein als richtig und notwendig angesehen wird, kann sich der Einzelne nicht mehr so leicht entziehen. Daneben spielt der weltanschauliche Aspekte eine Rolle. Die Juden wurden als Feinde dargestellt, die getötet werden mussten.

Durch das Töten können auch Triumphgefühle ausgelöst werden. Das Gefühl der Allmacht muss durch weiteres Töten aufrechterhalten werden. Manchmal kam es sogar zu einem sadistischen Blutrausch. Auch Töten kann eine Faszination auslösen. Die Männer erlebten etwas, das nicht alltäglich war, noch dazu in einer Männergemeinschaft mit ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Legitimation und Absolution geschehen in und durch die Gruppe. Allerdings wird das erste Massaker eher als belastend empfunden. Doch mit der Zeit stellt sich Normalität ein. Es ist ein schleichender Prozess. Nachdem die Hemmschwelle überwunden wurde, tritt eine Gewöhnung ein, selbst was das Töten von Kindern betrifft.

Die Entstehung von Grausamkeit

Der Film erläutert in kurzen Sequenzen Versuche zur Entstehung von Grausamkeit. Das Milgram- und das Stanford-Experiment sind dabei die Bekanntesten. Sie zeigen, dass ein hoher Prozentsatz der Probanden zu Grausamkeiten unter bestimmten Bedingungen neigt. Es braucht keine besondere Veranlagung, sondern nur die passenden Umstände, um Menschen böse werden zu lassen. Trotzdem besteht immer die Möglichkeit, »nein« zu sagen. Einige wenige der Männer in den Einsatzgruppen hatten sich dem Töten widersetzt. Das wurde akzeptiert, gravierende Konsequenzen hat es für die Befehlsverweigerer nicht gegeben. Das zeigt, die Entschuldigung »Ich habe nur Befehle ausgeführt« schafft keine zulässige Begründung für das Töten.

In der anschließenden Diskussion erläuterte der NS-Historiker Dr. Frank Bajohr, dass man von 200 000 bis 250 000 deutschen und österreichischen Tätern ausgeht. »Die Täterstammen aus der Mitte der Gesellschaft.« Der Film habe die gruppendynamische Kraft gezeigt, dabei war der herrschende Antisemitismus grundlegend. Filmwissenschaftler und Produzent Ulrich Limmer lobte die filmische Umsetzung. »Die Bildsprache geht gegen die Sehgewohnheiten.«

Die Frage, was aus den Männern nach dem Krieg wurde, kann nicht eindeutig beantwortet werden. »Der Referenzrahmen des Verhaltens ändert sich nach dem Krieg und sie fallen nicht weiter auf«, so Bajohr. Das Selbstmitleid der Täter hilft ihnen, sich in die bürgerliche Normalität wieder einzufinden. Warum der Regisseur auf die gespielten Szenen nicht verzichtet hat, wurde gefragt. »Das sind bildliche Platzhalter«, erläuterte Limmer. »Aus einer erzählerischen Not heraus, nicht nur die Dokumente zu zeigen, greift Ruzowitzky auf diese Szenen zurück.« Limmer lobt die Auswahl der Schauspieler und die überzeugende Art, mit der der Regisseur sie agieren lässt. »Wenn sie direkt in die Kamera schauen, ist es so, als würden sie dem Zuschauer die Frage stellen, wie es mit ihm stehe.« Christoph Merker