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Versprecher oder Beleidigung?

Berchtesgadener Land – War es ein Fluchen in eigener Sache oder hatte der 57-jährige Handwerker eine Frau mit Kopftuch beleidigt? Der Mann will ein Malheur im Abflussrohr lautstark mit »scheiß Kacke« kommentiert haben, die türkischstämmige Freilassingerin auf dem Rad aber »scheiß Kanacke« verstanden haben. Ein Strafbefehl wegen Beleidigung lautete auf 3 600 Euro. Der Einspruch des Saaldorf-Surheimers brachte zumindest eine Reduzierung der Tagessatzhöhe.


Im vergangenen November musste sich der Handwerker um ein verstopftes Abflussrohr kümmern. Doch das ging dabei kaputt. Mit unappetitlichen Folgen. Tatort war der zweite Stock eines Freilassinger Wohnhauses, wo die 44-Jährige gerade mit ihrem Fahrrad vorbeifuhr. »Ich ging zum Fenster, weil ich frische Luft brauchte«, schilderte der Angeklagte das Geschehen, dort soll laut sein Fluch »scheiß Kacke« gefallen sein.

Die Frau auf dem Fahrrad aber will »schon wieder so ein scheiß Kanacke« gehört haben. »So etwas gehört sich nicht«, sagte die Freilassingerin, betonte aber auch, dass die Sache mit einer Entschuldigung erledigte gewesen wäre. So aber verständigte sie die Polizei. Das »scheiß Kanacke« will auch ihr Ehemann am rund 50 Meter entfernten Wohnhaus gehört haben, wo er auf seine Ehefrau wartete. Das Paar berichtete übereinstimmend, dass sich der Angeklagte darauf hinter einer Balkonbrüstung geduckt und sich im Anschluss »eher versteckt« habe. Denn wenn es ein Missverständnis gewesen wäre, hätte man das sofort klären können.

Weil die Frau erzählte, dergleichen würde ihr öfter passieren, hakte Staatsanwältin Tomaschko nach: »Achten sie vielleicht unterschwellig drauf? Funktioniert so etwas – wie man neudeutsch sagt – als Trigger-Wort?« Nein, versicherte die Radfahrerin, »es war direkt neben mir«. Dem widersprach Rechtsanwalt Reinhard Roloff als Vertreter des Saaldorf-Surheimers mit Verweis auf die Internet-Anwendung Google-Maps, denn die Fassade liege nicht in direkter Richtung zur Radlerin. Im Übrigen habe sie mit der Frage »meinen Sie mich?« bereits Unsicherheit ausgedrückt. Während der Angeklagte behauptete, es seien in unmittelbarer Umgebung weitere Menschen unterwegs gewesen, versicherte das Ehepaar, beide deutsche Staatsbürger, sonst niemanden gesehen zu haben.

Der 57-jährige Angeklagte hat eine Vorstrafe wegen zweifacher Unterschlagung. Doch die angeklagte Beleidigung bestritt er: »So etwas würde ich nie in den Mund nehmen«, beteuerte er, er kenne Menschen vieler Nationalitäten. »Für mich ist ein Mensch ein Mensch, egal woher er kommt.« Das bekräftige auch sein Verteidiger: »Er hat überhaupt nichts gegen Ausländer.« Und weil die Frau selbst Zweifel angemeldet habe, ob sie gemeint war, sei sein Mandant freizusprechen.

Die Staatsanwältin hingegen sah die Anklage bestätigt. »Es gab keinen Anlass für diese fremdenfeindliche Tat«, sagte Tomaschko und beantragte 60 Tagessätze à 30 Euro. Richter Josef Haiker stellte die entscheidende Frage: »Wem glaubt man?« Dem Angeklagten glaubte er nicht, denn die Frau habe den Vorfall ohne jeglichen Belastungseifer geschildert. Darüber hinaus hatte sie keinen Anlass, den Handwerker grundlos zu beschuldigen. Im Übrigen habe der Angeklagte den Nachgang nicht genutzt, ein eventuelles Missverständnis auszuräumen. Haiker vermutete, dass dem Saaldorf-Surheimer einfach das Kopftuch der Frau nicht gepasst habe.

Sein Urteil fiel entsprechend aus: 60 Tagessätze zu je 20 Euro. Im Strafbefehl waren es noch 60 Euro gewesen, doch weil der Handwerker derzeit krankgeschrieben ist und demnächst ins niedrigere Krankengeld rutschen wird, verringerte sich die Geldstrafe von 3 600 auf 1 200 Euro.

Hannes Höfer