Wie ein gewaltiger Schutzwall präsentiert sich die Felswand. Die Häuser hier sind an das Gestein gebaut, weiter oben thront ein weiteres Gebäude. »Wir müssen vorsichtig vorgehen«, sagt Gerald Ragginger, Sprengexperte aus Österreich. »Das hier ist ein echter Spezialauftrag« so der Unternehmer mit kräftigem Händedruck, der mit drei Brüdern in Siezenheim einen Betrieb führt. Neben Abbrucharbeiten und der Erdbewegung sind es vor allem Bohr- und Sprengaufträge, die die Firma auszeichnen.
Der Fels? »Der muss weg.« Mit einem Lächeln sagt er das. Ragginger weiß genau, was er da tut. Seit Anfang der 90er Jahre ist er in der Branche, er hat Kanäle gesprengt, 40-Tonnen-Felsen in schwindelerregender Höhe pulverisiert, die Vorarbeiten für Liftanlagen geleistet, komplizierte Unterkellerungen mit Explosionsmaterial durchgeführt.
Seine Firma ist weit und breit die einzige, die vergleichbare Spezialaufträge macht. Der Bohr- und Sprengtechniker hat fünf Kollegen dabei, die ihn bei seiner Arbeit unterstützen. Denn das Sprenggewerbe erfordert eine hohe Präzision von den Verantwortlichen, die von den Behörden genauestens überwacht werden. Immerhin zählt jedes Gramm Sprengstoff. 4 000 Kubikmeter massiver Fels müssen dem Personalwohnheim weichen, unzählige Tonnen an Material. 17 Meter sprengen sich die Experten durch den Fels. Versorgungsstollen, die in das Gestein gebaut sind, müssen weichen. Das Problem bei der Sache: Die umliegenden Häuser sind direkt an den Fels gebaut.
Gerald Ragginger weiß, dass seine Arbeit mit vielen Gefahren verbunden ist. In so dicht bebautem Raum wie dem Markt kann jede Detonation zu Schäden an benachbarten Gebäuden führen. Und genau das muss der Sprengmeister verhindern. Nach sechs Wochen werden 200 Ladungen in die Luft gegangen sein. 1 200 Kilogramm hochexplosives Material möchten die Spezialisten einsetzen.
»Das ist kein TNT«, sagt Ragginger. Sondern Sprengstoff mit noch durchschlagenderem Effekt: »Emulex 2« steht auf den großen Paketen geschrieben, die an Baguette-Stangen erinnern. »Hochbrisant«, sei das. Die Detonationsgeschwindigkeit liegt bei 5 400 Metersekunden. Bedeutet, dass eine Zündung eine fünf Kilometer lange Schnur nach etwa einer Sekunde durchlaufen hat. Ragginger zeigt dem Besucher das Material. »Gefährlich wird es aber erst, wenn der Zünder drinsteckt«, beschwichtigt er. Ein Gramm Sprengmaterial sind im Zünder enthalten. Ausreichend, um einen Arm oder einen Fuß zu verlieren.
Passiert ist dem Sprengmeister bislang noch nichts. Denn größten Wert legt er auf den Personen- und Gebäudeschutz. Jede seiner Sprengungen bringt Gefahren mit sich, die im schlimmsten Fall in einer Katastrophe enden können. »Wenn wir falsch sichern, können fußballgroße Gesteinsbrocken locker 100 Meter weit fliegen.«
Dass ein solcher Fall nicht eintritt, dafür sorgen seine Mitarbeiter. Außerdem ist der Unternehmer gut versichert. Kommt es zu Schäden, greift Raggingers Versicherung. Bis zu vier Millionen Euro sind abgedeckt. Und zwar bei allen Schäden, die ab einem Radius von einem Meter rund um den Detonationsort entstehen.
Das ist auch deshalb so wichtig, weil Ragginger nah an Gebäuden arbeitet. Die durch die Detonation ausgelösten Erschütterungen bringen im schlechtesten Fall nachhaltige Folgen mit sich. »Natürlich sorgen wir vor«, sagt er. Drei Seismografen an unterschiedlichen Stellen zeichnen die Erschütterung der Sprengungen auf. Die kleinste Erdbewegung wird registriert und sofort ausgedruckt. »Einer meiner Mitarbeiter macht nichts anderes, als Ergebnisse zu protokollieren und zu schauen, dass die Grenzwerte eingehalten werden.«
Gerald Ragginger muss auf sein Team vertrauen. Denn ohne das kann auch der Sprengmeister nicht viel erreichen. Und da jetzt gleich eine Sprengung ansteht, müssen alle Hand in Hand arbeiten. Noch regnet es nicht, »das Wetter ist auf unserer Seite.«
Die Sprenglöcher sind bereits tief in den Fels gebohrt. Baguettestangendick. Viele Löcher in kleinem Umkreis. »Hier muss der Fels weichen«, erklärt Ragginger. Seine Mitarbeiter schneiden den Sprengstoff zurecht, versehen ihn mit dem entsprechenden Zünder und lassen das hochexplosive Material in das Loch hineingleiten. Das wiederholen sie mehrere Male.
Dann kommt der Baggerfahrer, schaufelt Felsmaterial auf die mit Sprengstoff versehene Stelle. Meterhoch. »Damit ein Steinflug erst gar nicht eintritt«, sagt Ragginger. Er wird am Ende die Kurbel drehen und zünden. Doch zuvor müssen die Fahrzeuge in Sicherheit gebracht werden. Jeder seiner Mitarbeiter hat nun einen zugeteilten Job, den es auszuführen gilt. Einer sichert die Straße unterhalb, ein anderer begibt sich nach oben und behält das Szenario im Überblick, ein anderer postiert sich weiter unten. Angst? Die kennt Ragginger nicht. »Ich bin mir zwar im Klaren, dass etwas schief laufen kann, aber ich tue alles dafür, dass nichts passiert.«
Der Sprengmeister ist jetzt bereit, die Kurbel hat er in der Hand. Noch einmal die OKs seiner Kollegen einholen, die in Sichtweite warten. »Alles in Ordnung«, so lautet das Zwischenfazit. Dann wird mittels Signalton vermittelt, dass eine Sprengung ansteht. Der ganze Markt soll es hören. Um informiert zu sein, dass eine Bodenerschütterung nicht gleich ein Erdbeben bedeutet. Das erste Signal ist ein lang gezogener Ton, dann folgen zwei kurze Töne, dann die mächtige Zündung. Der Berg aus Steinen, der über den Sprenglöchern liegt, hebt sich an, die Detonationsgewalt muss riesig gewesen sein. Dann sackt das Material in sich zusammen. Es folgen drei kurze Töne, die Sprengung ist beendet. Die Seismografen geben Entwarnung, die Häuser im Umkreis stehen noch. »So muss das sein«, sagt Ragginger. Kilian Pfeiffer