Die Staatsanwältinnen Karin Hahn und Helena Neumeier legen dem Mann unter anderen 32 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und zahlreiche Vergewaltigungen zur Last. Am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte »ein Komplott, eine Falle« der Opfer und ihrer Familien gegen ihn behauptet und die belastenden Aussagen der Kinder vor der Polizei, die in die Anklageschrift mündeten, als »Lüge« bezeichnet. Die Ermittlungen der Polizeiinspektion Waldkraiburg und der Kripostation Mühldorf ergaben jedoch ein anderes Bild, wie die zuständige Sachbearbeiterin am zweiten Prozesstag informierte.
Der Angeklagte, zwischen Herbst 2019 und Sommer 2021 als Busfahrer auf Linien im Landkreis Rosenheim tätig, hatte die Buben im Alter zwischen Anfang neun und 13 Jahren gemäß deren Aussagen mit Gratis-Busfahrten und kleinen Geschenken geködert. Dann holte er sie in seiner Freizeit ab – um sie in seiner Wohnung, in der einer dienstlich abwesenden Bekannten oder in abgelegenen Waldstücken über längere Zeit hinweg sexuell zu missbrauchen. Weigerten sich die Buben, drohte er ihnen und ihren Familien mit »Umbringen« und mit der »Mafia«, wie die Buben später der Polizei schilderten.
Ans Tageslicht kam der Fall nach Worten der Kriminalhauptkommissarin aus Mühldorf durch einen Anruf bei der Polizeiinspektion Waldkraiburg an einem Freitag. Eine Familie aus dem Landkreis Rosenheim vermisste den Sohn und äußerte den konkreten Verdacht, der Bub könne sich in Waldkraiburg aufhalten. Untertags schon hatte der Angeklagte den Buben zuhause mit seinem Auto abholen wollen. Der Vater verweigerte die Mitnahme, der Mann fuhr weg. Der Bub ging wieder ins Freie und war »plötzlich nicht mehr da«, so die Polizeisachbearbeiterin.
Der Vater konnte der Polizei den Wagentyp und das Autokennzeichen nennen. Nach einer Halterabfrage machte sich eine Streifenbesatzung auf den Weg zum Angeklagten. Dessen Ehefrau öffnete, verneinte die Anwesenheit eines Buben und begab sich ins Schlafzimmer, um ihren Mann zu wecken. Über einen Spiegel nahm ein Polizist durch die einen Spalt geöffnete Schlafzimmertür den vermissten Buben halbnackt auf dem Bett wahr. Minuten später traten der Angeklagte und der Bub, beide bekleidet, aus der Tür. Letzterer sagte, er sei »freiwillig« hier, alles sei »in Ordnung«. Die Familie holte den Sohn anschließend nach Hause.
Bei Gesprächen mit Polizeikollegen erschienen Einzelheiten des Geschehens nicht schlüssig – erinnerte sich die Sachbearbeiterin gestern. Deshalb habe man den Buben sofort nochmals befragt. Dabei wurde deutlich: Es ging ihm gar nicht gut. Und er war in der Vergangenheit an verschiedenen Orten Opfer sexueller Übergriffe geworden. Außerdem wusste der Bub von einem weiteren Betroffenen, dem Gleiches widerfahren sein soll.
Nach Rücksprache mit dem Kriminaldauerdienst und dem diensthabenden Staatsanwalt, der den »sofortigen Zugriff« anordnete, klickten noch am gleichen Tag die Handschellen für den 56-Jährigen. Eventuelle Beweismittel wie Handys wurden gesichert. Dabei zeigte sich: Daten auf dem Privattelefon waren bereits gelöscht, konnten aber rekonstruiert werden. Das Amtsgericht Mühldorf erließ Untersuchungshaftbefehl. Der Tatverdächtige berief sich auf sein Schweigerecht und zog Andreas Knoll aus Waldkraiburg als Verteidiger zu. Die zu der Zeit der Polizei bekannten zwei Opfer wurden in der Folgezeit per Videotechnik angehört. Beide schilderten vielfachen sexuellen Missbrauch durch den Busfahrer. Einer der Buben wusste von einem dritten, wesentlich jüngeren Opfer, das oft bei dem 56-Jährigen übernachtet habe – was sich nach Auskunft der Kriminalhauptkommissarin schließlich ebenfalls bestätigte. Auf den beschlagnahmten Datenträgern stellten die Ermittler beim Auswerten rege Kontakte zwischen dem Busfahrer und den drei Kindern fest.
kd