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Vor den olympischen Ringen an ihrem Elternhaus präsentiert Heike Karstens stolz die Silbermedaille. Damit hatte sich die Bischofswieserin in Sotschi einen Lebenstraum erfüllt. Foto: Anzeiger/Wechslinger

Dem Training am Götschen folgt Silber in Sotschi

Bischofswiesen – Für die Snowboarderin Anke Karstens vom WSV Bischofswiesen ist mit dem Gewinn der olympischen Silbermedaille ein großer Traum in Erfüllung gegangen. Vor dem feierlichen Empfang heute Abend auf dem Berchtesgadener Weihnachtsschützenplatz sprach der »Berchtesgadener Anzeiger« mit der Snowboarderin über Erfolg und Misserfolg, über das Erlebnis Sotschi und die weitere Karriere als Leistungssportlerin.


Du bist mit dem Gewinn der Silbermedaille auf dem Olymp der Sportler angekommen und hast dich damit unvergesslich gemacht. Eine olympische Medaille ist für die Gesellschaft das Wichtigste, gilt das auch für die Sportler?

Anke Karstens: Als Sportler sieht man dies mit gemischten Gefühlen. Ich habe mich zwei Tage vor dem Gewinn meiner Medaille mit dem österreichischen Alpinrennläufer Marcel Hirscher unterhalten. Wir stellten dabei fest, dass wir den größten Respekt vor einem Gesamtweltcup-Sieger haben, weil es über eine ganze Saison die konstanteste Leistung widerspiegelt. Das andere wiederum ist es, eine Leistung auf den Punkt zu bringen und die Tatsache, mit dem Gewinn einer Medaille etwas in der Hand zu haben. Schon mein Freund, der aus dem Snowboardteam der USA kommt, hat immer gesagt, es gibt Olympiateilnehmer und Medaillengewinner.

Es ging ja auch bei eurer Ankunft auf dem Münchner Flughafen nur um die Medaillengewinner. Felix Loch ist als Erster aus der Maschine ausgestiegen und alle Medaillengewinner standen vorne. Dabei hieß es doch einmal »dabei sein ist alles«. Alle, die keine Medaille um den Hals hatten, wirkten wie Verlierer.

Karstens: Das ist in unserer Gesellschaft leider so, weil wir gerade im Wintersport sehr erfolgsverwöhnt sind. Mein Teamkollege Patrick Bussler wurde nach zehn Abfahrten mit einer grandiosen Leistung hervorragender Vierter und hat mehrere Topläufer besiegt. Aber das interessiert leider keinen, es zählt bei Olympia halt nur Platz eins bis drei. Für einen selbst ist es etwas anderes, aber für die Außenwelt zählen nur die Medaillen. Der Erfolg steckt die Ziele, aber auch die Grenzen.

Deine doch etwas überraschende Silbermedaille hat den mageren deutschen Medaillenspiegel noch einmal angehoben.

Karstens: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Für mich ist ein großer Traum in Erfüllung gegangen. Ich habe fest daran geglaubt, dass ich es kann, und es ist einfach schön, diese Medaille aus Russland mit nach Hause nehmen zu dürfen. Wie der Medaillenspiegel aussieht, ist mir persönlich echt egal. Ich habe das mitgenommen, was ich mitnehmen wollte.

Wie hast du das frühe Ausscheiden beim Parallel-Riesenslalom vier Tage vor dem Gewinn deiner Silbermedaille weggesteckt?

Karstens: Tags darauf ging es noch, aber am Donnerstag habe ich mich richtig schlecht gefühlt. Es war sehr schwierig für mich. Bei einem Telefongespräch mit meinem Freund in den USA sagte mir dieser, ich könne mich später über das Ausscheiden aufregen, aber jetzt hätte ich erst einmal noch das zweite Rennen vor mir. Ich müsse nicht vier Jahre warten, sondern nur zwei Tage. Raff dich auf und wenn der Samstag gut läuft, wirst du dich nie wieder über den Mittwoch ärgern müssen, sagte Taylor. Und so ist es im Nachhinein. Ich werde nie wieder über diesen Riesenslalomtag nachdenken, der ist vergessen, aus meinem Gedächtnis gestrichen und so was von egal. Ich habe auch gewusst, dass es im Slalom, der mir ohnehin etwas lieber ist, läuft. Ich war mir sicher, dass ich den kurzen Slalomschwung nach meiner Verletzung wieder gut fahren kann. Wenn dieses Gefühl nicht zurückgekommen wäre, hätte ich selbst nicht daran glauben können. So haben mir der Zuspruch meines Freundes und der gute Trainingszustand sehr geholfen.

Ihr Snowboarder seid ja nach der Eröffnungsfeier noch einmal an den Götschen zum Training zurückgekommen und erst wieder knapp eine Woche später nach Sotschi zurückgekehrt, warum das?

Karstens: Weil die Trainingsmöglichkeiten in Sotschi nicht so waren, wie wir es gebraucht haben. Wir wollten ja ursprünglich noch einmal nach Italien zum Training. Weil dort jedoch zu viel Neuschnee war, haben wir uns für den Götschen entschieden, was genau richtig war. Wir haben an unserem Stützpunkt am Götschen noch einmal ein richtig gutes Training absolviert.

Welchen Stellenwert hat euer Trainer Andi Scheid und wie geht er mit euch um?

Karstens: Einzelgespräche sind variabel, wenn wir das brauchen. Andi weiß genau, wann er mir Zuspruch geben muss und wann nicht. In Sotschi hat mir Andi nur die Randdaten gesagt, wann ich wo zu sein habe.

Wie kann man sich den Zustand nach deinem Medaillengewinn und dem von deiner Zimmernachbarin Amelie Kober vorstellen?

Karstens: Das war alles recht chaotisch, weil wir danach sehr verplant waren. Die Feier war schon sehr fortgeschritten, als wir spät dazu gekommen sind. Es war sehr schön, den Moment mit meinem Trainer teilen zu können, um ihm auch etwas zurückzugeben. Es war auch sehr schön, die Medaille gerade mit Amelie gewonnen zu haben. Ich teile ja seit vielen Jahren das Zimmer mit Amelie und habe mehr Nächte mit ihr verbracht als mit jedem anderen Menschen. Für die anderen waren es natürlich keine leichten Momente, denn ich wusste ja aus eigener Erfahrung, wie es ist, leer bei einem Großereignis ausgegangen zu sein. Ich freue mich jetzt schon, mit Andi zusammenzusitzen und den Moment zu genießen.

Wie ist denn der Abend nach dem Medaillengewinn noch verlaufen?

Karstens: Zunächst einmal war die Verleihung der Medaillen ein unvergesslicher und sehr emotionaler Moment. Danach waren wir im Deutschen Haus und sind später ins Österreicherhaus gegangen. Da ging es total rund und die Österreicher haben mich auf der Bühne vorgestellt. Irgendwann habe ich vor lauter Freude geheult. Da standen auf einmal Benjamin Reich und Marlies Schild neben mir, nahmen mich in den Arm und sagten: »Geh, so schlimm ist es doch gar nicht.« Es haben ganz viele Leute gratuliert, die man vorher gar nicht so kannte.

Wie haben dir die Spiele im Ganzen gefallen?

Karstens: Es waren überwältigende Olympische Spiele. Das Schöne war, dass wir im Gegensatz zu Vancouver mit sehr vielen anderen Sportlern zusammen waren, von denen ich viele schon kannte. Sonst sieht man sich ja den ganzen Winter nicht. Es war eine entspannte, lustige Atmosphäre, echt cool.

Gibt es Anke Karstens in Korea als Sportlerin noch?

Karstens: So weit denke ich noch nicht. Zunächst einmal möchte ich im nächsten Jahr bei den Weltmeisterschaften in Murau am Kreischberg vor der Haustür dabei sein. Es wäre vielleicht schlau, jetzt die Karriere zu beenden, aber ich mag noch nicht aufhören.

Heute findet der große Empfang für die Olympiateilnehmer am Weihnachtsschützenplatz statt. Dein Papa hat das alles vorbereitet, wie sehr freust du dich darauf?

Karstens: Ich wusste ja schon vorher, dass wir empfangen werden. Jetzt etwas um den Hals hängen zu haben, macht die Freude natürlich noch größer.

Was hat sich für dich durch den Medaillengewinn geändert?

Karstens: Außer dass ich ein Stück Metall in der Hand habe, nichts. Ich habe die gleichen Menschen um mich, die mich lieben und immer für mich da waren. Ich freue mich über jeden, der mir gratuliert und sich mit mir freut. Mir ist aber auch bewusst, wie vergänglich so ein Erfolg sein kann. Ich weiß sehr gut, wo ich herkomme und wo ich hingehöre. Christian Wechslinger