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Radprofi Toni Palzer (r.) leistete beim »Giro d'Italia« Hilfsdienste für seinen Teamkapitän Lennard Kämna. (Foto: Luca Bettini) Foto: SprintCyclingAgency©2023

»Drei Wochen, in denen ich sehr viel leiden musste«

Knapp 3 500 Kilometer über 51 000 Höhenmeter in 21 Etappen absolvierte der Ramsauer Toni Palzer beim 106. »Giro d'Italia«, der am Sonntag in Rom zu Ende ging. Von 176 Startern kamen 125 ins Ziel. 51 Fahrer sind wegen Erkältungen durch den permanenten Regen und in höheren Regionen sogar durch Schneefall sowie nach Stürzen ausgeschieden. Auch Palzer hat es gesundheitlich erwischt, aber er kämpfte sich durch und beendete nach der »Vuelta« in Spanien seine zweite große Rundfahrt auf Platz 51. Nach der Rückkehr aus Italien sprach der »Berchtesgadener Anzeiger« erneut mit dem Ramsauer.


Toni, Du bist auch beim »Giro d'Italia« gut durchgekommen. An welche Etappen erinnerst du dich besonders gern?

Toni Palzer: Richtig cool waren die Etappen auf den Monte Bondone und die Drei Zinnen-Etappe, wo ich an meine alten Stätten als Skibergsteiger zurückgekommen bin. Am Monte Bondone standen mein Papa und meine Freundin und am Anstieg zu den Drei Zinnen warteten meine besten Freunde. Das war Gänsehaut pur, ich hatte echt glasige Augen. Sogar »Doni« haben sie mit Kreide auf die Straße geschrieben. Weniger gerne erinnere ich mich an die Simplon-Etappe aus der Schweiz nach Italien. Da hat es vier Stunden geregnet und auf der Passhöhe herrschten bei Schneetreiben null Grad, das war einfach nur fürchterlich.

 

Fühlt sich Kälte auf dem Rad anders als auf Skiern an?

Palzer: Kälte auf dem Rad ist meistens mit Nässe verbunden, auf den Skiern hatte ich mit trockener Kälte zu kämpfen. Über mehrere Stunden völlig durchnässt zu frieren, war eine Grenzerfahrung. Es war teilweise sehr hart und an einigen Tagen war ich echt am Limit.

 

Viele Fahrer waren schon nach der ersten Woche gesundheitlich angeschlagen. Du bist lange verschont geblieben. Aber vor der dritten Woche hat es Dich auch erwischt.

Palzer: Ich bin in den ersten beiden Wochen gut durchgekommen, aber nach der 14. Etappe über den Simplon-Pass krank geworden. Ich war nicht nur erkältet, sondern hatte auch noch mit einem Magen-Darm-Infekt zu kämpfen.

 

Sonst wäre wohl beim zweiten schweren Bergzeitfahren am vorletzten Tag von Tarvisio zum Monte Lussari über 18,6 Kilometer und dabei Rampen bis zu 24 Prozent noch mehr drin gewesen?

Palzer: Da hatte ich mir schon einiges ausgerechnet und ich hätte auch im Vollbesitz meiner Kräfte viel weiter vorne landen können als auf dem 64. Platz. Doch stark angeschlagen galt es nur durchzukommen.

 

Wie sahen Deine Aufgaben im Team überhaupt aus?

Palzer: Ich musste die Mannschaft und nach dem Ausfall von Aleksandr Vlassov unseren Kapitän Lennard Kämna unterstützen. Ich holte Flaschen und Regenkleidung vom Auto und habe das auf das Team verteilt. Auf den Bergetappen konnte ich meist bis zum letzten Anstieg bei Kämna bleiben und ihn im Kampf um die Gesamtwertung unterstützen.

 

Wie seid Ihr damit umgegangen, dass Vlassov schon so bald ausgefallen ist?

Palzer: Nachdem auch der Helfer Giovanni Aleotti ausgefallen ist, mussten meine Teamkollegen und ich noch mehr arbeiten. Vlassov zu verlieren, war ein harter Schlag und Kämna übernahm danach die alleinige Führung. Dadurch musste ich nur noch einem Kapitän die Flaschen und Kleidung bringen.

 

Du hast den »Giro« auf Platz 51 beendet. Gab es während des Rennens Gedanken an dein Ergebnis?

Palzer: Ich habe zwar täglich die Ergebnisliste bis Platz 20 studiert, um auf dem aktuellen Stand zu sein. Aber meine Rolle war klar definiert. Ich war als Helfer dabei und hatte die Aufgabe, die Mannschaft zu unterstützen, egal ob auf Platz 50 oder 100. Es ging immer darum, Kräfte zu schonen, um am nächsten Tag dem Team und vor allem dem Kapitän wieder helfen zu können. Ich bin auf den letzten Kilometern immer recht entspannt und gemütlich ausgerollt.

Aber dennoch dürfte ein Traum in Erfüllung gegangen sein?

Palzer: Der Traum ging definitiv in Erfüllung. Es waren jedoch sehr spezielle drei Wochen, in denen ich sehr viel leiden musste. Ich wollte es aber auch nicht anders. Es war extrem hart, vielleicht härter, als ich mir es vorgestellt habe. Es war aber auch unglaublich schön, die Tausende Radsportanhänger neben der Strecke zu sehen. Ferner waren die beiden Etappensiege meines Mannschaftskameraden Nico Denz besondere Momente. Und natürlich die Anwesenheit meiner Familie und meiner Freunde gegen Rennende. Vor allem haben die Berchtesgadener einmal gesehen, was bei solch einem Rennen wirklich abgeht.

 

Die Abfahrten waren durch den Dauerregen gefährlich. Wie bist Du damit zurechtgekommen?

Palzer: Ich bin dreimal gestürzt, habe mir aber nicht weh getan und konnte meine Fahrt immer fortsetzen.

 

Man konnte Dich in Rom beim Zielsprint sehen, als Du Deinem gestürzten Mannschaftskameraden Patrick Konrad und auch noch Pascal Ackermann zu Hilfe gekommen bist, dem es beim Sturz den Helm vom Kopf gerissen hat.

Palzer: Das ist doch menschlich, da stehen zu bleiben und zu helfen. Dann bin ich halt etwas später in Rom über die Ziellinie gefahren.

 

Wie war es, auf der letzten Etappe über 126 Kilometer in mehreren Runden durch Rom zu fahren?

Palzer: Das war schon sehr cool, am Kolosseum und anderen Sehenswürdigkeiten vorbeizurollen. Das vergisst man nie. Zudem hat sich bis auf die Sprintankunft im Klassement nichts mehr geändert.

 

Du bist vor zwei Jahren die »Vuelta« in Spanien gefahren. Jetzt hast Du den »Giro« bewältigt. Kannst Du die beiden Rundfahrten miteinander vergleichen?

Palzer: Die Vuelta 2021 war eine Höllentour und 21 Tage am absoluten Limit. Den »Giro« habe ich als echter Radprofi bestritten, konnte dabei meine Aufgaben erledigen und das Rennen sowie die Atmosphäre genießen.

 

Das wichtigste Rennen im Radsport ist die »Tour de France«. Könnte es sein, dass Du 2024 dabei bist?

Palzer: Das kommt ganz auf meine weitere Entwicklung an, es könnte natürlich sein. Aber daran denke ich derzeit noch nicht.

 

Der Manager und Geschäftsführer Ralph Denk von BORA-hansgrohe dürfte mit Dir zufrieden sein?

Palzer: Das glaube ich schon. Das Team umfasst ja 30 Fahrer und ich wurde mit sieben anderen für den »Giro« nominiert.

 

Drei Wochen Knochenarbeit liegen hinter Dir, wie sehen die nächsten Tage und Wochen aus?

Palzer: Im eigenen Bett schlafen und dann mit dem Rad ganz entspannt durch die Ramsau und den Berchtesgadener Talkessel rollen. Des Weiteren werden wir mit meinem Trainer und dem Team den Fahrplan für die nächsten Wochen erarbeiten. In knapp drei Wochen steht die Deutsche Meisterschaft auf dem Plan, bei der wir als BORA-hansgrohe-Team auch in diesem Jahr den Titel holen möchten. Danach folgt im Juli ein Höhentrainingslager, um dann fit und frisch in den zweiten Teil der Saison zu starten.

Christian Wechslinger