Hinter dem dunklen, zweiflügeligen Eingang in Waging am See verbergen sich amüsante Geschichten. Denn hier führte einst ein Unikum die Gaststätte Waginger Hof. Heute ist dort ein Reformhaus.
Reinhold Terner aus Fridolfing wuchs in Waging am See auf und verbrachte seine Kindertage in einem Haus direkt gegenüber des Waginger Hofs. Von daher erinnert sich der heute 66-Jährige auch noch recht gut an seine früheren Nachbarn, Fritz Waldherr und dessen jüngsten Bruder Adi.
Fritz Waldherr, der die Gaststätte Waginger Hof als Gastwirt führte, übte auf Terner eine so große Faszination aus, dass er ein paar Geschichten aus dem Leben von Fritz aufgeschrieben hat, die er nun auch den Lesern des Traunsteiner Tagblatts zugänglich machen möchte.
Fällt nämlich der Name Fritz Waldherr, haben vor allem die älteren Waginger noch das Bild des meist grantelnden Wirts vor Augen, der einer handfesten Auseinandersetzung nie abgeneigt war. »Aber der Waldherr Fritz war nicht immer so«, weiß Terner von dessen Bruder Adi, der ihn natürlich von klein auf kannte. Fritz sei als Bub eher sensibler und warmherziger gewesen. Ein tragisches Kriegserlebnis habe bei ihm jedoch zu einer großen Wesensänderung geführt. Allerdings habe der Fritz dieses Erlebnis mit ins Grab genommen. »Der Zufall wollte es, dass seine damaligen Wehrmachtskameraden sich nach dem Tod von Fritz Waldherr noch daran erinnerten«, sagt Terner, der mit ehemaligen Kameraden über den »Grantler« gesprochen hat.
Fritz musste mit 15 in die »Kinderarmee«
Als gerade mal 15-Jährigen ließ Adolf Hitler 1943 den Fritz in seine »Kinderarmee« einziehen. So kam er im schweren Heimatflak-Bataillon in Harlaching bei München zum Einsatz. Zusammen mit zwei etwas älteren Kameraden aus der Hitlerjugend musste Fritz eine Flugabwehrkanone bedienen und war für die Ortung und die Entfernungs- und Höhenmessung feindlicher Flugzeuge zuständig. Am 25. Februar 1945, kurz vor Ende des Kriegs, flogen die Alliierten einen Tieffliegerangriff auf München und auf die Stellung von Fritz. Der Angriff muss so grauenvoll gewesen sein, dass er und seine Kameraden in Panik die Stellung verließen und in einem Bunker Unterschlupf suchten. Dies weckte den Unmut ihrer Vorgesetzten. Zur Strafe ließen sie Fritz mit einem Kälberstrick an sein Kriegsgerät anbinden und er musste so 14 Tage lang ausharren – und zwar Tag und Nacht. Dies löste große Ängste bei ihm aus, so große, dass er den Vorfall stets verschwieg, damit ihn keiner als Feigling betrachtete. Anfang April 1945 kam er in eine psychiatrische Einrichtung in Wörgl. Ihm selbst war es so unangenehm, dass er diesen Aufenthalt als »Skierholung«, bezeichnete. Ende April wurde er aber dann nach Hause geschickt. Das Erlebte und die unverarbeitete seelische Verletzung führten zu einer Änderung in seinem Verhalten. Das Trauma löste Wutausbrüche und unkontrollierte Handlungen aus.
Gaststube war oft proppenvoll
Fritz erlernte den Beruf des Schlossers, ehe er – unterstützt von seiner Mutter – den Waginger Hof übernahm. Der Betrieb lief dank der vielen Urlauber, die in den 60er und 70er Jahren nach Waging kamen, ausgezeichnet. Das Gasthaus war renommiert, der Gastwirt angesehen. Sonntags nach dem Kirchgang trafen sich Bauern, Trachtler und andere Waginger beim Fritz, sodass die Gaststube samt Nebenzimmer oft proppenvoll war, und der Wirt kaum mit den Bestellungen nachkam. Der Waginger Hof zählte zu den besten Kunden der Münchner Augustiner-Brauerei.
Reinhold Terner war ja fast Nachbar vom Fritz, er wohnte in einem alten Hinterhaus der heutigen Marienapotheke und der Bäckerei Joas. Als fünf- oder sechsjähriger Bub schickte ihn sein Vater zum »Waldherr«, um Bier und eine Schachtel Zigaretten zu holen. »Ich hasste diese Aufträge, weil ich nicht nur Angst vor dem dunklen langen Flur hatte, sondern auch vor dem Wirt«, erinnert sich Terner. Dieser habe ein Schiebefenster mit Klingel für den Straßenverkauf gehabt. »Wenn ich nur einmal klingeln musste, war der Wirt gut gelaunt und öffnete sofort.« »Aha, der Herr Terner, wos deafs denn sei?«. Zweimal klingeln habe geheißen, dass der Wirt weniger gut drauf war. Und ein drittes Mal klingeln habe bedeutet, dass er den Fritz wohl gerade beim Watten störte. »Aber das Bier und die Schachtel HB habe ich immer gekriegt«, sagt Terner heute mit einem Schmunzeln.
Nicht zuletzt wegen des ihm eigenen »Charmes«seien allmählich weniger Gäste in seine Gaststube gekommen, erzählt der Fridolfinger. Das Geschäft habe zusehends gelitten, obwohl der Fremdenverkehr florierte. Reinhold Terner erinnert sich an zwei Episoden, die er selbst miterlebt hat: Zwei Sommergäste, Mann und Frau, wollten zu Mittag essen. Die Dame bestellt ein kleines Bier. Fritz schien sich verhört zu haben: »A wos mächst du?« Des bayerischen Dialekts nicht mächtig, blickte sie Fritz verständnislos an. Der fuhr fort: »Woaßt wos, iatz wartst bis d' an Durscht host, und nachan dringst a Hoibe.« Die Sommerfrischlerin blickte ihren Begleiter fragend an: »Was meint der Herr?« Dieser schien etwas versierter und meinte nicht ganz wortgetreu: »Er meinte, er führe keine Viertelbiere, ob du lieber einen halben Liter trinken möchtest.« Sie mochte.
»Herr Wirt, können wir bestellen?«
Ein anderes Mal betraten drei junge Burschen, Urlauber, die Wirtschaft. Sie waren gut gelaunt, feixten und hatten Spaß. Einer trug einen überdimensionalen Sombrero. Fritz war gerade an der Schänke beschäftigt, sah den Sombrero und herrschte den jungen Mann an: »Dua den Huad oba!« Offensichtlich verstand der die Aufforderung nicht, jedenfalls kam er ihr nicht nach. Die drei Burschen setzten sich. Fritz machte aber keine Anstalten seine Gäste zu bedienen. Stattdessen nahm er bei einem der verbliebenen Stammtischbrüder Platz. Nach einiger Zeit fasste sich einer der Burschen ein Herz und fragte: »Herr Wirt, können wir bestellen?« Der entgegnete: »Der soid sein Huad oba doa, sunst gibt’s nix.« Nix, war vermutlich das einzige Wort, das die Urlauber verstanden. Mit der Bemerkung: »Woanders gibt es auch Bier« verließen sie das Gasthaus. Fritz hingegen resümierte: »Soweid kam's no.« Sein Tischnachbar pflichtete bei: »Ja, soweid kam's no« und beide verfielen wieder in ihre Stammtischlethargie.
Ein besonderer Dorn im Auge waren dem Fritz die Schwarzpiesler. Waging verfügte noch nicht über eine öffentliche Bedürfnisanstalt. Da kamen die Toiletten des Waginger Hofs gerade recht. Diese lagen nämlich außerhalb des Gasthauses, auf dem dahinter liegenden Grundstück. Den Durchgang gibt es heute noch für Fußgänger. Schon damals erreichte man die Toiletten von der Salzburger Straße über die Durchfahrt, musste dann aber an der Gaststube vorbei – und damit vorbei am Fritz. Dieser verzeichnete sehr viele männliche WC-Benutzer, die er aber nicht als Gäste begrüßen konnte. Er drückte diesen Missstand so aus: »Woanders saufan’s und bei mir soachan's!« Es konnte auch durchaus sein, dass der »Watsch'nbaam« umfiel.
Fritz war auch ein begnadeter Tänzer
In den 1960er und 1970er Jahren war bei lauten Hochzeiten noch der Hochzeitslauf, auch Braut- oder Schlüssellauf genannt, üblich und der Fritz war oft dabei. Nach der kirchlichen Trauung versammelte sich die Hochzeitsgesellschaft auf dem Platz vor dem jetzigen Lokal Bacchus. Die männlichen Festgäste rüsteten sich zum Wettlauf. Sie legten ihr Feiertagssakko ab, krempelten die Hemdsärmel hoch, zurrten Hosenträger oder Gürtel fest und warfen die Krawatten über die Schultern. Die Braut gab das Startzeichen. Ziel des Laufs war beim Laden der Familie Ostermann. Der Sieger wurde auf der Hochzeitsfeier freigehalten. Wie erfolgreich der Fritz dabei immer war, ist nicht bekannt. Er wird sich aber angestrengt haben, vermutet Reinhold Terner. Unter anderem erhielt der Gewinner des Laufs den Schlüssel für die Gemächer der Braut.
Fritz war auch ein begnadeter Tänzer. Die Frauenwelt stand regelrecht Schlange, um einen Tanz mit ihm zu ergattern, was gelegentlich den Missmut unter den männlichen Begleitern hervorrief. Und so kam es auch auf dem Tanzboden immer wieder mal zu handfesten Auseinandersetzungen.
Was letztlich keiner für möglich gehalten hatte, geschah dann aber doch: Der Fritz heiratete. Allerdings darf die Hochzeit nur als vorübergehend betrachtet werden. Noch in der Hochzeitsnacht gab es einen gehöriger Disput unter den Frischvermählten, sodass die neue Frau umgehend wieder ausgezogen ist. Beim nächsten Faschingszug durch Waging derbleckte sich Fritz und seine Blitzehe mit einer Einmanngruppe selbst. Auf seinem Schild tat er die »kürzeste Hochzeit Deutschlands« kund.
Am 1. September 1982 verstarb Fritz Waldherr im Alter von gerade mal 54 Jahren. »Er war ein Unikum seiner Zeit«, sagt Reinhold Terner, der die Geschichte über seinen Nachbarn im vergangenen Jahr nach langer Recherche aufgeschrieben hat und sich bei Adi Waldherr, dem Bruder von Fritz, für dessen freundliche Mitwirkung bedankt. So können die besonderen Geschichten aus Waging weitererzählt werden.
Anna Caruso
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