Das Oktett für Streicher des noch nicht 17-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy verlangt zwei Streichquartettensembles, die allerdings nicht »doppelchörig«, sondern in echter, kompakter Achtstimmigkeit eingesetzt sind. Nach ausgiebigem Stühlerücken und Pulteordnen stellten sich das Acies Quartett und das Atrium Quartett (Alexey Naumenko und Anton Ilyunin, Violinen, Dmitri Pitulko, Viola, und Anna Gorelowa, Violoncello) dieser Aufgabe und machten daraus ein Musizierfest für acht Streicher. Und wenn die sich musikalisch mögen, dann ist alles möglich: ein satter orchestraler, geradezu sinfonischer Gesamtklang, differenziertes Piano, eine traumhaft sichere Einheit der Phrasierung, doch auch scharfe Akzentuierung der Gegensätze und blindes Verständnis in der Agogik.
Es war faszinierend, den furiosen Unisonoläufen des ersten Satzes oder den nachdenklich-eindrücklichen und behutsamen Passagen des Andantes zu lauschen. Im feen- und elfenhaften Scherzo explodierte ein Feuerwerk brillanter Einfälle. Und aus dem Finalsatz glaubte man böhmisches Temperament in technischer Perfektion und hemmungsloser Musizierlaune zu spüren, dabei ganz entspannt und voller Lust und Freude.
Nach der Pause gesellte sich der Pianist Jascha Nemtsov zum Atrium Quartett (die Töne des Flügels waren eine willkommene Klangbereicherung nach den üppigen Streicherwogen), um gemeinsam das erste Werk im Festspielschwerpunkt vorzustellen, das Klavierquintett f-Moll op. 18 aus dem Jahr 1944 von Mieczyslaw Weinberg (geboren 1919 in Warschau, gestorben 1996 in Moskau). 1943 hatte Weinberg die Bekanntschaft mit Schostakowitsch gemacht, der ihn noch im selben Jahr nach Moskau einlud. Dort komponierte er, wohl angeregt durch Schostakowitschs Klavierquintett aus dem Jahr 1940, doch ganz eigenständig, sein Quintett. Es reflektiert »hörbar« die Gräuel des Krieges, den Mord an seinen Eltern und der Schwester in einem Nazi-Lager, ist trotzdem, vielleicht aus dem jüdischen Erbe heraus, gelassener, kompromissbereiter und ausgeglichener als die Musiksprache seines Kollegen und Freundes Schostakowitsch.
Der Formenreichtum in Weinbergs Quintett ist so groß, dass hier nur einzelne Elemente angedeutet werden sollen: die Verbindung von gesanglichen und unerbittlichen Themen in teils hektischer, teils nachdenklicher Durcharbeitung, klagende Episoden, die sich unerbittlich bis ins Unerträgliche steigern und doch wieder zu großer Ruhe finden, fugierte Formen in brutaler Verzahnung, zum Teil irrwitzige Tanzelemente.
Der vierte Satz (Largo) war für den Berichterstatter (beim ersten Hören!) am ehesten nachvollziehbar: Er beginnt mit einem ausführlichen, mächtigen Unisono aller Instrumente, das sich schließlich in schwere Akkorde spaltet, aus denen sich die 1. Violine erhebt und mit dem Cello in eine neue, offene Stimmung führt, die der Flügel mit einer gewaltigen Erzählung füllt, nach der das Cello und die übrigen Instrumente von Zuhörern zu Partnern werden; eine Pizzikato-Reprise des Anfangs-Unisonos beschließt diese beeindruckende und bestechend schöne Musik. Großen Dank an die engagierten Interpreten, natürlich auch an die Programmmacher der diesjährigen Traunsteiner Sommerkonzerte!
Eine klitzekleine »Horah« aus Julius Chajes' »Das jüdische Lied« schloss als Zugabe den Abend tänzerisch ab. Engelbert Kaiser