Du hast 1989 die erste Abfahrt mit dem Rennrodel absolviert. Wie sieht der Blick auf über 25 Jahre Kufensport aus?
Anja Selbach: Der Blick zurück ist schön, wenn es auch manche Tiefschläge gegeben hat. Ich war Jahrzehnte im Winter mehr auf irgendwelchen Kunsteisbahnen unterwegs als daheim. Im Jahr 2003 bin ich vom Rennrodel auf Skeleton umgestiegen. Das war natürlich ein großer Vorteil, weil ich viele Bahnen bereits vom Profil her kannte und wusste wo die Lenkpunkte sind.
Was jedoch auf dem trägeren Skeleton anders zu handeln ist.
Selbach: Das ist richtig, aber die Kurven bleiben die gleichen. Der Skeleton mit seinem 16er-Rundstahl ist natürlich weit rutschiger als die scharfen Rodelkufen. Dabei ist das Kurvenfahren noch ähnlich, aber das Geradeausfahren bereitet am Anfang Probleme. Ich kann mich erinnern, mehr als sechs Wochen gebraucht zu haben, ehe ich den Skeleton geradeaus lenken konnte.
Es haben sich aber recht schnell erste große Erfolge eingestellt.
Selbach: Ich bin bereits bei meinen ersten Junioren-Weltmeisterschaften Dritte geworden. Dann habe ich gleich die Gesamtwertung im Europacup gewonnen und wurde sofort in den Weltcup geschickt, weil sich eine Sportlerin verletzt hatte. Ich hab mich gefragt, ob ich überhaupt schon so weit bin. Ich bin förmlich ins kalte Wasser geworfen worden, habe mich aber schnell frei geschwommen und bin in Igls bei meinem ersten Weltcupeinsatz auf Anhieb Sechste geworden.
Früher unterstand Skeleton der Fraktion Bob, wie hat denn da das Training ausgesehen?
Selbach: Das war eine lustige Trainingsgruppe mit Florian Graßl, Michi Halilovic sowie den Bobfahrern. Bundestrainer Raimund Bethge hat uns wunderbar zusammen und auch nach vorne gebracht. Auch wenn die Trainingsinhalte von Skeleton und Bob verschieden waren.
Was hat sich geändert, nachdem Bob und Skeleton getrennt worden waren?
Selbach: Für mich nicht viel, weil ja Raimund Bethge fortan mein persönlicher Trainer war. Auch wenn er nach 2010 zu den Rennen nicht mehr mitgefahren ist. Raimund ist immer in ganz engem Kontakt zu unserem Trainer Jens Müller gestanden, und so war es machbar. Ohne Raimund Bethge wäre ich nie dahin gekommen, wo ich einmal war.
Wie sieht der Rückblick auf die drei Trainer Bethge, Müller und Matschenz aus?
Selbach: Raimund Bethge war für mich wie ein Vater, der auch streng sein konnte. Aber Raimund war immer die Ruhe in Person und stets sachlich. Wir hatten auch unsere Differenzen, haben diese aber nie öffentlich ausgetragen. Auch mit Jens Müller war die Zusammenarbeit sehr gut, er hat immer einen guten Spruch auf den Lippen gehabt und aus unserem Haufen eine homogene Gemeinschaft gebildet. Jens war aber manches Mal emotional. Auf dem Materialsektor haben wir sehr gut zusammen gearbeitet und stets eine 1:1-Abstimmung gehabt. Unter ihm waren wir oft sehr erfolgreich und fünfmal in Folge stellten wir die Weltmeisterin. Vier Jahre lang haben wir die Gesamtweltcupsiegerin gestellt. Wir sind zwar Einzelsportler und denken am Startbalken nur an unsere Abfahrt. Es soll auch keine andere schneller sein. Gleichwohl hat es Jens Müller geschafft, dass wir uns auch über den Erfolg einer Mannschaftskollegin gefreut haben.
Und Matschenz?
Selbach: Dirk Matschenz ist eine ganz andere Persönlichkeit, der in erster Linie für sich steht. Er hat auch ganz andere Ansichten als Bethge und Müller. Ich bin deswegen mit ihm auch öfter »übers Kreuz« gekommen. Ich habe über 13 Jahre mit Jens Müller und viele Jahre mit Raimund Bethge gearbeitet und bin mit dem Führungsstil von Matschenz nicht ganz klar gekommen. Die Saison war nicht ganz unerfolgreich, aber ganz oben stand von uns in letzter Zeit keiner.
In eurer Sportart hat sich am Start viel getan.
Selbach: Das ist richtig. Viele erfolgreiche Nationen rekrutieren ihre Sportler aus der Leichtathletik. Ich bin auf meinem Niveau geblieben, aber die anderen sind einfach schneller geworden.
Im Sportlerleben gibt es schöne, aber auch weniger angenehme Erinnerungen.
Selbach: Das Größte ist natürlich, wenn für dich die deutsche Nationalhymne gespielt wird. Auch die Siege daheim am Königssee waren ganz besondere Momente. Etwas Unvergessliches war auch mein Weltmeistertitel in Altenberg, als ich gerade einmal vier Jahre auf dem Skeleton unterwegs war. Eine andere Erinnerung habe ich an die Olympischen Winterspiele in Turin 2006, als ich zunächst weg war und dann doch starten durfte. Danach herrschte mit Kerstin Szymkowiak über drei Jahre Funkstille, ehe uns Trainer Jens Müller zusammen ein Zimmer zugewiesen hat. Wir haben uns jedoch ausgesprochen, schließlich konnte keine für die Entscheidung der Sportführung etwas. Heute sind wir gute Freundinnen und haben immer noch Kontakt. Der größte Moment war wohl, als wir 2010 in Vancouver Silber und Bronze holten. So etwas vergisst man mit dieser Vorgeschichte nie. Kerstin war auch auf meiner Abschiedsparty nach der WM in Winterberg.
… die für dich »Red Bull« organisiert hat.
Selbach: Man hat mich von Red Bull gefragt, ob ich nach meinem Rücktritt vom Leistungssport noch einen Wunsch habe. Nachdem ich sagte, dass eine Abschiedsparty cool wäre, habe ich die Begleiter meiner langen Laufbahn eingeladen, alles andere hat »Red Bull« organisiert.
Der erste Individualsponsor war das »InterContinental Berchtesgaden Resort«, danach kam »Borbet« und »Red Bull«. Wie kam der Kontakt zu Red Bull zustande?
Selbach: Ganz am Anfang habe ich an »Red Bull« eine Mail geschickt, das jedoch mit Skeleton zunächst nichts anfangen konnte. Aber es gab auch ein »Red Bull and Friends«-Team. Da hatte ich schon einen Fuß in der Tür und habe Zuschüsse bekommen. Nachdem ich 2011 am Königssee Vize-Weltmeisterin geworden bin, wurde ich zu einer Fernsehsendung in den »Hangar 7« eingeladen. Eigentlich wollte ich nach meinen Medaillen bei Olympia sowie Welt- und Europameisterschaften sowie einem Gesamtweltcuperfolg aufhören. Doch dann hat mich Dietrich Mateschitz persönlich angerufen und gefragt, ob ich Zeit hätte, mal an den Fuschlsee zu kommen. Ein bisschen Nervenflattern hatte ich damals schon. Aber dann stand er vor mir und sagte einfach »Servus, ich bin der Didi«. Er fand mich cool und wollte wissen, ob ich vor der Kamera nur eine Rolle spiele oder eben so ein Mensch bin wie ich bin.
Wie ging es dann weiter?
Selbach: Am Abend hat mich »Red Bull Deutschland« angerufen und gefragt wie ich das wieder geschafft habe. Da sind einfach viele glückliche Zufälle zusammen gekommen. Ich habe bei dieser Weltfirma viel dazu gelernt und gesehen, wie da getickt wird, wie »Red Bull« funktioniert und die Abläufe sind. Ich habe schließlich auch Betriebswirtschaft und Sportmarketing studiert. Es stand auch nie zur Diskussion, dass »Red Bull« aussteigt, wenn es einmal nicht so gut läuft. Auf das Wort von Mateschitz kann man halt zählen.
Gibt es zum Sponsoring von »Red Bull« auch Zahlen?
Selbach: Über Geld und Verträge spricht man nicht. Aber ein Ziel für mich war immer einmal, mit solch einem »Red Bull«-Helm zu fahren, das habe ich geschafft.
Wie geht es beruflich weiter?
Selbach: Ich habe noch kein konkretes Angebot, aber ich könnte mir eine Arbeit in unserem hoffnungsvollen Skeleton-Nachwuchsbereich vorstellen. Da steckt viel Potenzial drin. Schließlich habe ich 13 Jahre beim Bob- und Schlittenverband für Deutschland gearbeitet und bin nicht zu irgendeiner Institution gegangen. Christian Wechslinger