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In Gedanken bei den Kollegen in Berlin und anderen Brennpunkten sind die Mitarbeiter des Rettungsdienstes in der Region. Pöbeleien und Rangeleien kennen sie auch, aber zum Glück keine Ausschreitungen wie in den Großstädten. Foto: dpa

»So schwerwiegende Angriffe kennen wir hier nicht« – Rettungsdienst-Leiter Jakob Goëss zur Situation in der Region

»Die Bilder aus Berlin sind schockierend, das ist wie im Krieg«, sagt Jakob Goëss, Leiter des Rettungsdienstes beim BRK Traunstein. Was die Kollegen in den Brennpunkten in der Silvesternacht erlebten, etwa einen Feuerlöscher, der durch die Windschutzscheibe eines Rettungswagens krachte, sei ein Albtraum für die Einsatzkräfte. Natürlich sei man in Gedanken bei den Kollegen in den Brennpunkten und sorge sich um sie. Doch »Gott sei Dank kennen wir solche schwerwiegenden Angriffe hier bei uns nicht.« 


Zwar gebe es schon hin und wieder Übergriffe, aber diese seien bei Weitem nicht so drastisch wie die in Berlin. »Wenn, dann sind das meistens Menschen in psychischen Ausnahmesituationen, eigentlich fast immer sind Alkohol und Drogen im Spiel.« Dann komme es schon mal zu Beleidigungen oder kleineren Rangeleien.

»Bewusst neutral und deeskalierend«

»Allgemein ist, glaub' ich, durchaus anerkannt, dass wir helfen und Menschenleben retten wollen. Und wir sind ja neutral und bewusst deeskalierend. Im Zweifelsfall ziehen wir uns zurück, bis Polizeischutz da ist. Da hat für unsere Leute der Eigenschutz auf jeden Fall Priorität.«

Während in der öffentlichen Wahrnehmung Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte zunehme, sei die Situation in Bayern tatsächlich sogar rückläufig. Derzeit finde zu diesem Thema eine Erhebung statt, die im März ausgewertet und anschließend veröffentlicht werde.

»Unsere gute Ausbildung bietet den Kollegen natürlich schon Sicherheit«, sagt Goëss. Und nach schweren Einsätzen wie etwa schweren Unfällen oder gar Patienten, denen man nicht mehr helfen kann, gebe es zusätzlich zum Kollegengespräch auch die Möglichkeit, interne Kriseninterventionsteams zu nutzen.

Aber grundsätzlich sei hier im ländlichen Bereich die Gewaltbereitschaft generell geringer als in Großstädten. Insofern seien auch anderenorts geforderte Körperkameras oder Kameras in Fahrzeugen derzeit nicht nötig, meint Goëss. Allgemein sei aber auch im Rettungsdienst die Personalsituation sehr angespannt.

Ausgesprochen stolz auf alle Mitarbeiter

Dass seit Beginn der Corona-Pandemie noch keine einzige Schicht ausfallen musste – immerhin gibt es im Landkreis zehn Rettungswagen, sieben Krankentransportwagen und fünf Notarzteinsatzfahrzeuge – habe aber nur funktioniert, »weil das Personal so hervorragend zusammenarbeitet. Das funktioniert in beispiellosem Ausmaß. Ich bin wirklich ausgesprochen stolz auf alle Rettungsdienstmitarbeiter.«

Natürlich stehe die Führungsriege hinter den Kollegen, »aber die Kollegen stehen auch auf einzigartige Weise hinter uns.« Rund 120 hauptamtliche und 90 ehrenamtliche sowie immer etwa zehn Bundesfreiwilligendienst-Leistende seien im Rettungsdienst im Landkreis unterwegs.

Dass sich die Ausschreitungen in der Silvesternacht auf die eigene Nachwuchsgewinnung auswirken, glaubt er nicht. Wer sich ehrenamtlich engagieren möchte, braucht den 520 Stunden umfassenden Lehrgang, der sich über mehrere Monate erstreckt. Wer beim Rettungsdienst hauptberuflich arbeiten will, muss nach der Mittleren Reife die dreijährige Berufsausbildung zum Notfallsanitäter absolvieren.

Goëss selbst ist dabei wie seine Kollegen überzeugt von der Tätigkeit im Rettungsdienst. »Keine Situation gleicht der anderen, man muss permanent flexibel sein, und natürlich muss man für diese Arbeit Menschen mögen.« Oder wie es der ärztliche Leiter Krankenhauskoordination, Dr. Joaquin Kersting, formuliert, »wann hat man sonst die Möglichkeit, Menschen in akut lebensbedrohlichen Zuständen so schnell und mit relativ wenig Mitteln so effektiv zu helfen?«

Allgemein sei die Situation in der Region anders als anderenorts, auch was die Auslastung der Kliniken anbelangt. Gerade die Kinderkliniken seien zwar durchaus sehr stark ausgelastet, nicht zuletzt wegen des RS-Virus, aber man habe noch immer alle Patienten, Kinder wie Erwachsene, innerhalb des Rettungsdienstbereichs – der die Landkreise Traunstein, Berchtesgadener Land, Mühldorf und Altötting umfasst – in Klinken untergebracht. Es seien nur einzelne Abteilungen, die sich hin und wieder vorübergehend abmelden müssten und keine Patienten mehr aufnehmen könnten.

An den ärztlichen Bereitschaftsdienst denken

Zugenommen hätten allerdings die Einsätze, für die es nicht unbedingt den Rettungsdienst gebraucht hätte. Bei nicht lebensbedrohlichen Zuständen sei es für den Rettungsdienst entlastend, wenn man erst einmal die Nummer des Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung, die 116 117, wählt. Aber die Situation sei halt auch für den Betroffenen nicht immer leicht einzuschätzen.

coho