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Raus aus dem Alltag, rein ins Abenteuer. Einfach die Umleitung vor Bischofswiesen nehmen. (Foto: Pfeiffer)

Zur Arbeit wie im Urlaub

Bischofswiesen – Arbeiten, wo andere Urlaub machen. Diesen Spruch kennen Berufstätige im Talkessel zu genüge. Man könnte aber auch sagen: Urlaub machen, wo andere arbeiten. Vor allem im Sommer. Wenn nicht nur Einheimische am Verkehr teilnehmen, sondern auch Unmengen an Touristen, kommt die Sperrung des wichtigsten Wegs in den Talkessel ungelegen. Aber ärgern bringt nichts. Besser: Einfach mal die Perspektive wechseln. Und den Umweg als Ausflug sehen.


Da hat sie einfach Pech, die Familie aus Coesfeld. Papi schaut blöd, Mutti schaut blöd. Und Lena und Tini an Bord sowieso. Papi studiert zunächst skeptisch die weiß-roten Sperrbalken, Mutti tippt ratlos auf dem Navi-Touchscreen rum. Hinter dem silbernen Touareg stauen sich schön langsam die Autos. Tja, da bleibt den Touareg-Touris nichts anderes übrig: Sie müssen links zur Loipler Brücke abbiegen. Und über das Loipl und das Schwarzeck zur Alpenstraße zuckeln. Und dann über Ramsau und die Engedey nach Berchtesgaden. Oder, wohin sie an diesem kühl-trüben Montagmorgen auch immer wollen.

Mit 26 km/h tuckert der Touareg über die Brücke. Ein wehmütiger Blick hinab auf die Baustelle. »Los, Burschen! Ihr schafft das!«, möchte man ihnen zurufen. »Fräst den Frust von der Straße. Asphaltiert die Aversion.« Derweil biegt der Touareg mit 21 km/h um die Kurve. Aha: Das Hotel »Hundsreitlehen« hat eine eigne Kneipp-Anlage. Schon wieder was gelernt. Drrrummm. Drrrummm. Die Viehroste in der Straße geben den Rhythmus der Alltagsentschleunigung vor. 19 km/h. Blinker setzen, Schulterblick, Vollgas, vorbeiziehen. Man ist zwar nicht auf der Flucht. Aber auf dem Weg zur Arbeit.

Die Feuchtigkeit legt sich auf die Frontscheibe. Wischen. Schließlich will man die grüne Naturpracht sehen. Schau, da links, die »Götschenalm«. Da war mal ein Sado-Maso-Club drin. Apropos: Schön langsam schmerzt der linke Hax vom permanenten Kuppeln. So eine Schalterei. Doch dann wird es ebener und fast schon gerade. Richtung Alpenstraße sieht man nur den Wald. Und einen Audi A4 mit Münchner Kennzeichen. Gut, fahren wir halt nur 50 km/h. Links liegt die Hochschwarzeckbergbahn, ein pittoresk gelegenes Kleinod und gelungener Kontrapunkt zum Größenwahn der Jennerba … ahhh! Eine Kuh mitten auf der Straße. Nein, hahaha, ich meine nicht die Fahrerin des Audis vor mir. Sondern eine echte Kuh. Die glotzt uns an. Die Audi-Münchnerin schleicht sich im Schneckentempo an sie vorbei, hält an und – Klischee, lass nach – fotografiert sie und drückt einen Knutscher an die Seitenscheibe. Die Kuh schaut zu; und dann wieder zu mir. Mein Motto: Umfahren Sie das Hindernis weiträumig.

Dann geht’s bergab. Ein letzter Blick Richtung Watzmann, der ein weißes Wolkenbrett vor dem Kopf hat. Hinein in die Nebelsuppe. Vorbei am »Zipfhäusl«. Kurve links, Kurve rechts, links, rechts, eine Kurverei. Im moderaten Tempo des älteren Ehepaars aus Aurich geht es auf der Alpenstraße vor herrlichem Bergpanorama durchs erste Bergsteigerdorf Deutschlands Ramsau und die Engedey hindurch hinauf nach Berchtesgaden zur besten Lokalzeitung Deutschlands, dem »Berchtesgadener Anzeiger«.

Noch ein paar Fakten für Daten-Junkies: Die Umfahrung der Bischofswieser Vollsperrung nach Berchtesgaden ist 16 Kilometer lang und dauert bei mäßigem Verkehr exakt 16 Minuten. Mit Kühen auf der Strecke muss man dort im Sommerhalbjahr übrigens immer rechnen. Christian Fischer