Warum umarmen sich Menschen überhaupt gerne? »Das Knuddeln bewirkt eine Reihe von angenehmen Empfindungen«, sagt die 48-jährige Psychotherapeutin. Durch die Berührung eines anderen Körpers wird das Glückshormon Oxytocin freigesetzt. Der Mensch fühlt sich geborgen, vertraut seinem Gegenüber und wird auch ruhiger, »sprich ein psychologisch breit gefasstes Konstrukt von Liebe«. Natürlich hängen laut Noeske diese Reaktionen auch davon ab, welche Schamgrenze das jeweilige Individuum hat. Bewegt sich ein schüchterner Mensch näher auf eine fremde Person zu, so bekommt er ein unangenehmes Gefühl und will sich von ihm distanzieren. »Für eine Umarmung benötigt man Vertrautheit.«

Das Knuddeln stärkt nicht nur die Psyche, sondern auch den Körper. Umarmungen hätten handfeste positive Einflüsse auf die Gesundheit, wie Untersuchungen bestätigten, so Noeske. Wird Oxytocin ausgeschüttet, verringert sich der Blutdruck. Der Cortisolspiegel sinkt, infolgedessen ist man weniger gestresst. Die körperliche Nähe lindert auch den Schmerz und beschleunigt die Wundheilung. Ebenso positiv: Durch das häufige Knuddeln kann man schneller Gewicht verlieren.
So erfreulich diese Effekte auch sein mögen, so frustrierend ist das Leben für Alleinstehende, die wegen der Kontaktbeschränkungen nicht kuscheln dürfen. Langfristig hat das verheerende Folgen für den Körper: »Die positiven Empfindungen gehen einem ab. Der Blutdruck ist nicht mehr kontrollierbar. Man kann sich schlecht beruhigen, wenn man keinen Ausgleich findet.«
Die dauerhafte Einsamkeit und die beunruhigende Stille in der Wohnung könnten psychopathologische Auswirkungen haben, so Noeske. Wer einsam sei, verspüre eine Leere. Diese Leere könne zu Depressionen und Angststörungen führen. Die Psychotherapeutin weist aber darauf hin: »Das ist keine zwingende Konsequenz. Doch die Einsamkeit kann zu Depressionen und Angststörungen beitragen.« Allerdings gibt es nach Angaben Noeskes mehrere Möglichkeiten, den Knuddeleffekt auch ohne Umarmungen der Menschen zu erzeugen. Stichwort Kompensation. So hilft es bereits, wenn man sein Haustier streichelt. Die 48-Jährige spricht sogar von einer Win-Win-Situation, denn nicht nur der Mensch schüttet Glückshormone aus, sondern auch das Tier. Wer keins besitzt, kann auf andere Optionen zurückgreifen.
Oxytocin wird nämlich auch freigesetzt, wenn man laut und fröhlich sein Lieblingslied singt. Meditation dient ebenso als Kuschel-äquivalent, da der Stress reduziert wird. Noeske empfiehlt auch, sich eine Wärmflasche auf den Bauch zu legen, da sich Glücksgefühle infolge der Wärme entfalten.
Einen weiteren Tipp, den die Psychotherapeutin hat: Ein Kissen umarmen. »Dazu muss man natürlich seine Schamgrenze überwinden. In der Psychiatrie wird diese Methode angewandt und sie wirkt sich positiv auf die Patientinnen und Patienten aus«, sagt die 48-Jährige. Denn auch beim Knuddeln mit einem Kissen können die Berührungsrezeptoren auf der Haut aktiviert und Oxytocin ausgeschüttet werden. Sollte die Hemmschwelle aber zu hoch sein, kann man durch Ausdauersport die fehlende körperliche Nähe kompensieren. Dabei entstehen Endorphine. Das Hormon reduziert den Stress, wirkt schmerzhemmend und macht das Individuum glücklich. »Glückshormone kann man auch durch andere Aktivitäten erzeugen«, fasst Noeske zusammen.
Doch sind Umarmungen zu ersetzen? Die Psychotherapeutin hat eine persönliche Meinung dazu: »Nein, man kann keine Umarmungen ersetzen. Man kann nur Ausgleiche schaffen.«
Der Weltknuddeltag
Im Jahr 1996 hat Kevin Zarborney, ein US-amerikanischer Pfarrer, den »Weltknuddeltag« (Englisch: »National Hugging Day«) ins Leben gerufen.
In vielen Familien würde auf Zuneigung kaum Wert gelegt und dementsprechend sei es an der Zeit gewesen, der Umarmung als Ausdruck menschlicher Wärme und Zuneigung einen stärkeren öffentlichen Fokus einzuräumen. Die Menschen sollen sich deshalb in der trüben Winterzeit, zwischen Weihnachten und Valentinstag, näher kommen und durch die körperliche Nähe Trost verspüren. Er findet seitdem jedes Jahr am 21. Januar statt.
Patrick Vietze