»Die Menschen in den ländlichen Gebieten, im Outback, versterben meist ohne Behandlung, oft auch ohne Diagnose«, weiß Uta Sommer-Lihotzky, die 2020 schon einmal mit dem pensionierten Reichenhaller Arzt Dr. Henner Krauss in Ghana war. Dr. Krauss, der sich seit 2006 mit Unterstützung der GRVD für Ghana engagiert und mittlerweile Koordinator für 13 GRVD-Krankenhäuser in dem westafrikanischen Land ist, hatte ein halbes Jahr vorher eine Palliativstation in einer Klinik in Akwatia eingerichtet. »Davor gab es noch nicht einmal Morphin zur Schmerzbehandlung bei Sterbenden«, berichtet die gebürtige Trostbergerin, die die Pflege innerhalb der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung im Netzwerk Hospiz Traunstein-Berchtesgaden leitet.
Doch mit dem Aufbau von Palliativstationen ist es nicht getan. Das Personal muss auch geschult werden. Und so machten sich Uta Sommer-Lihotzky und Dr. Caroline Glöckl jetzt wieder auf, um ihr Wissen und ihre Erfahrung weiterzugeben. Sie waren Teil eines Teams mit Ärzten und Pflegern verschiedener Fachrichtungen, Physiotherapeuten, Seelsorgern und sogar Klinikköchen, die Dr. Krauss für den Unterricht in Ghana zusammengetrommelt hatte.
Wochen vor der Abreise haben Dr. Glöckl und Sommer-Lihotzky ihre Vorträge vorbereitet – alles auf Englisch. Sie haben sich mit Malariaprophylaxe versorgt und Urlaub beantragt. Die Flüge, Unterkünfte, und nötige Versicherungsbeiträge übernahm der GRVD.
In der Klinik in Akwatia, einer Stadt im Süden Ghanas mit rund 25 000 Einwohnern, referierte Dr. Caroline Glöckl vor rund 50 Ärzten über Schmerzmedizin. Sie ging darauf ein, welches Mittel für welche Schmerzart angewendet, wie es dosiert und mit welchen Medikamenten es kombiniert werden kann. »Ich musste den Ärzten ein bisschen die Angst vor höheren Dosierungen und Medikamentenkombinationen nehmen«, erzählt die Ärztin, die seit 2015 im Netzwerk Hospiz arbeitet. Sommer-Lihotzky sprach über pflegerische Themen wie Mund- und Hautpflege sowie Ernährung und Flüssigkeitsgabe am Lebensende.
Auch im Bereich Kommunikation mit unheilbar Kranken wollten sich die ghanaischen Ärzte gerne fortbilden. »In Rollenspielen wurde die richtige Wortwahl trainiert, und es wurde geübt, wie man bei der Wahrheit bleibt und mit den Reaktionen umgeht«, berichtet Sommer-Lihotzky. »Umzusetzen ist das in Ghana natürlich nicht so leicht. Wie soll man in einem Zwölf-Bett-Zimmer eine ruhige Gesprächssituation schaffen? Oder wie soll man Perspektiven geben, wenn die Patienten nach der Diagnose oft ins Ungewisse entlassen werden?«, räumt Dr. Glöckl ein.
Nur wenige Menschen in Ghana können sich überhaupt einen Krankenhausaufenthalt leisten. Nicht jeder hat eine Krankenversicherung, »und diese zahlt auch nicht alles«, so Sommer-Lihotzky. »In den Krankenhäusern gibt es für die Patienten kein Essen. Das und auch die Medikamente und die Bettwäsche – alles müssen Angehörige besorgen«, weiß Sommer-Lihotzky. Sie hatte sich während ihres Hilfseinsatzes vor drei Jahren das Bein gebrochen und deshalb eine Woche als Patientin in einem Krankenhaus in Ghana verbracht. Damals hatte sie ein Kollege versorgt. Viele Angehörige der Patienten schliefen aber vor den Krankenhäusern auf dem Boden, denn ein Hotel käme aus finanziellen Gründen nicht infrage.
Auch die schlechte Infrastruktur macht den Transport in ein weiter entferntes Krankenhaus schwierig. Die Fahrt auf den löchrigen Straßen dauert oft lange und ist für Kranke strapaziös. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es kaum. »Für ein Gebiet der Größe von ganz Bayern gibt es einen einzigen Hubschrauber«, sagt Sommer-Lihotzky, die seit 2012 im Netzwerk Hospiz tätig ist. Palliativstationen kann man in Ghana an einer Hand abzählen.
Das Thema Tod sei in dem afrikanischen Land ein Tabu, hat Dr. Caroline Glöckl festgestellt. »Man spricht nicht darüber, welche medizinische Versorgung man sich am Lebensende wünscht«, sagt die Ärztin. »Wir haben zum Beispiel die Tochter einer Schlaganfallpatientin gefragt, was ihre Mutter sich wünschen würde, ob sie lieber zu Hause versorgt werden wolle oder im Krankenhaus. Die Frau hat uns völlig verständnislos angeschaut.«
Dies ist auch der mangelnden sozialen Absicherung geschuldet. »Es gibt dort keine Rente, keine Teilzeitarbeit, keine Pflegeeinrichtungen. Alte Menschen werden bestenfalls von ihren Kindern versorgt. Wer nicht arbeitet, kann sich nicht versorgen«, stellt Uta Sommer-Lihotzky klar. Da bleibe wenig Raum, nachzudenken, welche Bedürfnisse ein Sterbender hat. »Das geht alles unter«, bedauert die Pflegedienstleiterin.
Die beiden Mitarbeiterinnen des Netzwerkes Hospiz haben nun aber schon viel bewegt in den Köpfen von Ärzten und Pflegepersonal – in der Theorie. »Jetzt brauchen sie dort aber jemanden, der mit ihnen auf Visite geht, ihre Therapien evaluiert, sie immer wieder unterstützt«, sagt Sommer-Lihotzky. Dr. Glöckl ergänzt: »Und die Personalsituation verändert sich ja auch immer wieder.« Die beiden Frauen haben deshalb in ihrem Abschlussbericht empfohlen, dass die Teachings regelmäßig fortgeführt werden sollten. »Das ist uns ein großes Anliegen«, betont Dr. Glöckl.
Die beiden würden sich als Ehrenamtliche gerne wieder zur Verfügung stellen. »Ich habe gleich zu meinem Mann gesagt, dass das nicht der letzte Einsatz war«, erzählt die Ärztin aus Berchtesgaden und lacht. »Die Zeit dort war menschlich sehr bereichernd«, stimmt Sommer-Lihotzky zu. Man müsse durchaus hart im Nehmen sein. Man müsse lernen, die Armut, das Leid und Elend zu verarbeiten und die Versorgungslage sowie die hygienischen Zustände zu akzeptieren. Es kann auch mal vorkommen, dass man auf der Toilette einer Schlange begegnet. Aber man bekomme auch sehr viel zurück. »Die Menschen sind so offen und warmherzig, sie haben sich sehr um uns bemüht«, sagt Dr. Glöckl.
Auch wenn in Ghana die Versorgung von Palliativpatienten noch nicht einmal ansatzweise so ist wie in Deutschland, freuen sich die beiden, den Palliativgedanken dort eingepflanzt und einen Weg bereitet zu haben. »Jeder hat das Recht, auch am Lebensende zu entscheiden, was er will«, betont Sommer-Lihotzky.
Auch in Armut sollte jeder in Würde sterben dürfen und wissen: »Du zählst, weil du bist, und du wirst bis zum letzten Augenblick deines Lebens eine Bedeutung haben.« So hat es Cicely Saunders, die als Begründerin der modernen Hospizbewegung und Palliativmedizin gilt, formuliert.
Lucia Frei





