»Der kann ja nicht ganz normal sein«, sagt Barbara Angerer. Sie ringt noch immer um Fassung. Denn das, was sich am Mittwoch zugetragen hat, ist an Grausamkeit kaum zu überbieten. Ein Kalb war mehrere Hundert Meter von der Weide entfernt in einem Wald an einem Hang schwer missbraucht worden. Spaziergänger, die vom Rauhen Kopf herunterkamen, hatten die Angerers verständigt und gesagt, dass sich ein Kalb im Wald befinde, gefangen zwischen zwei Bäumen. Tot – wahrscheinlich. Die Aufregung bei den Angerers war groß. Das Kalb tot? »Ich bin dann hochgelaufen in den Wald«, erzählt Barabara Angerer. Allerdings habe sie nichts gefunden. Ehemann Johann und Sohn Seppi waren da noch beim Holzarbeiten, machten sich aber sofort auf den Weg zum Hof zurück, um bei der Suche nach dem Kalb zu helfen.
»Es ist gut möglich, dass mehrere Leute am Werk waren«, vermutet Barbara Angerer. Sohn Seppi stimmt ihr zu. Das Kalb war ganz allein, und dann noch eingeklemmt zwischen den beiden Bäumen, damit es sich nicht bewegen konnte. Zudem ist der Tatort weit abgelegen und sehr unzugänglich. Zunächst geht es an der Weide vorbei, einen steilen Weg hinauf. Von dort geht es weiter in den Wald, an einem kleinen Wasserlauf vorbei und einen Hügel empor. »Da war nun das Kalb eingeklemmt, auf dem Rücken liegend, leicht verstört.« Nicht in der Lage, sich selbst zu befreien. Der Boden dort ist weich und sichtbar zusammengetreten.
Ob es sich da selbst verfangen hatte? Die Sache kam den Angerers merkwürdig vor, aber so etwas wie einen Missbrauch an einem Kälbchen? Das konnte ja keiner ahnen.
Bis Sohn Seppi noch mal genauer schaute, abermals in den Wald ging, und schließlich ein Beweisstück fand: einen blutverschmierten Ast, locker drei Meter lang, zudem relativ dick. Die vorderen 15 Zentimeter sind entrindet. »Damit muss der oder die Täter hantiert haben«, sagt Barbara Angerer. Sie ist sich sicher, dass das Kalb geschrien hatte. Aber auf diese Entfernung ist es nicht möglich, selbst laute Schreie wahrzunehmen.
Weil es dem Kalb schlecht ging, holten die Angerers eine Tierärztin, die sich um das verletzte Tier kümmerte. Die Untersuchung ergab, dass das Kalb im Genitalbereich stark verletzt war. Schwellungen zeugten davon, wie bestialisch der Täter vorgegangen sein muss. »Und das bei uns im Talkessel«, wundert sich Barbara Angerer immer wieder. Natürlich informierten die Angerers die Polizei, die ist aber ebenfalls ratlos. Der oder die Täter sind nicht mehr auszumachen.
Die Angerers haben einen großen Hof, sieben Kälber, insgesamt 120 Kühe. Aber so etwas? »Ein normaler Mensch würde nicht mal draufkommen, so etwas zu denken, geschweige denn zu machen«, sagt Barbara Angerer. Dem Kälbchen, das bislang noch keinen Namen hat, geht es mittlerweile etwas besser. »Es bleibt erst mal im Stall.« Jeden Tag kommt die Tierärztin, untersucht das sechs Monate alte Tier. Die Verletzungen sind so stark, dass es niemals trächtig werden kann.
Tatsächlich gab es in der Vergangenheit ähnlich gelagerte Fälle. Allerdings nicht im Berchtesgadener Land, wie man in der Polizeiinspektion Berchtesgaden auf Nachfrage bestätigt.
Im Internet schlägt der Missbrauch am Kälbchen große Wellen. Die Angerers selbst haben auf ihren Fall aufmerksam gemacht, »Bitte lesen und teilen« hieß es am Mittwoch in der Gruppe »Du kommst aus Berchtesgaden, wenn ...« im sozialen Netzwerk Facebook. Der Beitrag wurde 465-mal geteilt, selten zuvor war ein Beitrag auf ähnliche Resonanz mit Tausenden Betrachtern gestoßen. Einig sind sich die Facebook-Nutzer, dass man es hier mit einem »perversen Kerl« zu tun hat. »Mir fehlen die Worte«, schreibt eine Nutzerin. Und eine weitere befürchtet: »Da muss man ja Angst haben, dass diese Bestie sich auch an wehrlosen Menschen wie Kindern und Frauen vergreift.«
Barbara Angerer ist vorsichtig geworden. Die sechsfache Mutter möchte nicht, dass ihre Jüngsten alleine entfernt vom Hof spielen. Zu groß ist die Angst. Im »Netz« gibt man sich hingegen zuversichtlich: »Den kriegen sie – und dann wird er seine gerechte Strafe bekommen. Kilian Pfeiffer
Hinweise nimmt die Polizei Berchtesgaden unter Telefon 08652/94670 entgegen. Um die Suche nach dem Tierquäler zu unterstützen, hat die Tierrechtsorganisation PETA eine Belohnung von 1 000 Euro für Hinweise, die zur Ermittlung des Täters führen, ausgesetzt.