Die 37-Jährige läuft für ihr Leben gern. Sie hat schon Deutschland umrundet, sie hat schon Mallorca umrundet und auf der Suche nach einem neuen Projekt kam ihr Lebensgefährte Sven Dünnwald auf die Idee mit den deutschen Städten. »Die Herausforderung ist schon gewaltig«, sagt sie. Ihr Motto für das Mega-Projekt lautet: »Kopf aus, Beine an.«
Bevor der erste Startschuss gefallen ist, begann aber erst einmal eine monatelange Vorbereitung. Die Routen mussten bis ins Detail geplant werden, die Logistik genau ausgetüftelt werden. Die schmutzige Wäsche etwa wird regelmäßig zum Waschen geschickt, die frische Kleidung kommt wieder zurück, in wenigen Wochen wird dann auf Wintermodus umgestellt. Circa alle 30 Tage bekommt die Ausdauersportlerin zudem Nachschub an ihrer speziellen Sportler-Verpflegung zugesandt.
Denn seit dem Startschuss am 1. Juni sind Hübner und Dünnwald, der seine Lebensgefährtin mit dem Auto begleitet, praktisch keinen Tag mehr zu Hause gewesen. Nur ganz am Anfang ging es für ein paar Nächte ab und an zurück nach Berlin. Und so wohnen die beiden jetzt mehr oder weniger in ihrem Auto, das millimetergenau gepackt werden muss, damit alle Kisten verstaut werden können. In den Kisten befindet sich die Alltagskleidung der beiden und vor allem auch Hübners Laufausrüstung und Verpflegung. Übernachtet wird in Pensionen oder auch mal bei Bekannten und Freunden, fast jeden Tag geht es in einen anderen Ort.
Seit ein paar Wochen ist Joyce Hübner nun in Bayern unterwegs. Jeden Morgen um 9 Uhr startet sie aufs Neue eine Strecke, die mindestens 42,195 km lang ist. Manchmal läuft sie auch ein paar Kilometer mehr. Alle sechs bis acht Kilometer wartet Dünnwald mit dem Auto und Hübner tankt neue Kräfte für den nächsten Abschnitt.
Ihr Weg ist dabei oft eine Wundertüte. Mal sind es stark befahrene Bundesstraßen, mal wunderschöne Waldwege, mal Fahrradwege oder Singletrails durch den Wald oder am Fluss entlang, mal geht es ins meterhohe Gestrüpp und ab und an auch schon mal in eine Sackgasse, aber Joyce Hübner, die ihre Community Tag für Tag auf ihrem Instagram-Kanal auf diese überaus spannende Reise mitnimmt, lässt sich von nichts unterkriegen. Ihre Route führte am Freitag – dort ging es von Saaldorf nach Altenmarkt – auch mal kurz nach Österreich, »weil das einfach der kürzere Weg gewesen ist«, erklärt sie.
Zurück in Bayern ist erst einmal Pause angesagt, Verpflegungsstelle Nummer zwei an diesem Tag steht an. »Ich habe mich sehr auf Bayern gefreut, weil ich liebe dieses Bergpanorama«, erzählt Hübner und zeigt in Richtung Watzmann. »Ich freue mich aber, dass ich nicht in die Alpen zum Laufen muss, ich sehe sie aber jeden Tag von Weitem.«
Von Weitem sieht sie oft auch nur die Städte. Aber das ist bewusst so geplant. »Wenn ich jedes Stadtzentrum mitnehmen würde, wäre meine Gesamtstrecke noch rund 5000 Kilometer länger«, erzählt sie. »Die Stadtgrenzen, die ich auf jeden Fall passiere, befinden sich aber teilweise sehr weit außerhalb des Stadtzentrums.« Und so lief Hübner am Freitag zwar durch Freilassing, aber Bad Reichenhall streifte sie etwa nur an einer Außengrenze.
Gleich drei Städte stehen am heutigen Samstag beim Marathon 112 auf der Liste. Hübner kommt auf ihrer Strecke von Altenmarkt nach Evenhausen durch Traunstein, Traunreut und Trostberg. Wer sie begleiten will, ist ein gern gesehener Gast – als Läufer und auch als Radfahrer. Die genaue Route mit Live-Tracking und Verpflegungspunkten findet man auf der Internetseite von Joyce Hübner, die sich vor allem auch darüber freut, dass ihr Projekt bisher gut läuft. »Mir geht es erstaunlich gut«, sagt sie. Trotz der sportlichen Strapazen, die sie tagtäglich auf sich nimmt, ihr Körper hat sich daran mittlerweile längst gewohnt.
Mental hat Frohnatur Hübner keinerlei Probleme. »Jeder Tag ist anders«, erzählt sie. »Ich habe jeden Tag eine andere Strecke, jeden Tag andere Mitläufer, jeden Tag gibt es neue Herausforderungen und das Wetter ist immer anders. Das lässt einen nicht in so eine Standardroutine kommen.«
Über ein Jahr wird sie noch unterwegs sein, aber auch das schreckt die Extremsportlerin nicht ab. »Ich freue mich auf die Regionen, die ich jetzt noch nicht so richtig kenne. Ich lasse mich überraschen, was kommt«, sagt sie.
Aktuell fliegt sie übrigens auf Brezen. Und wie belohnt sie sich sonst? »Belohnung gibt es keine«, sagt sie. »Es fällt mir gerade eher schwer, dass ich meine Kalorien und Nährstoffe wieder aufnehme, die ich brauche. Wenn ich Lust auf was habe, dann esse ich es.« Aber dann fällt Joyce Hübner doch etwas ein: »Die Belohnung wird sein, wenn ich es am Ende ins Ziel geschafft habe.«
Das ist am 8. Oktober 2026 in Berlin. Dann wird sie rund 21 312 Kilometer und über 200 000 Höhenmeter in den Beinen haben. Und was macht Joyce Hübner an Tag 496? »Ich werde höchstwahrscheinlich ausschlafen und will nicht vom Wecker geweckt werden. Ich gehe aber trotzdem stark davon aus, dass ich wieder meine Laufschuhe schnüren und loslaufen werde.« SB