Eine Verlagerung der heimischen Stahlproduktion ins Ausland würde laut einer neuen Studie im Krisenfall milliardenschwere volkswirtschaftliche Verluste nach sich ziehen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse von Wirtschaftswissenschaftlern der Universität Mannheim, die von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert wurde. Sie lag der Deutschen Presse-Agentur vorab vor.
Demnach drohten der deutschen Wirtschaft bis zu 50 Milliarden Euro jährlicher Wertschöpfungsverlust, wenn sie ohne inländische Stahlproduktion in einen globalen »Stahlschock« geriete. Die Autoren meinen damit ein Szenario, bei dem große Stahlexporteure wie etwa China aufgrund von geopolitischen Konflikten oder Lieferkettenproblemen ihre Ausfuhren nach Europa in kurzer Zeit erheblich drosseln würden.
Studie: Ohne heimische Produktion würde Stahl im Krisenfall teurer
In einem solchen Fall müssten nachgelagerte Branchen wie die Bauwirtschaft, die Metallerzeugung, der Maschinenbau, die Elektrotechnik oder die Autobranche erheblich mehr für Stahl bezahlen. »Dieser Kostenschub würde die Produktion und damit die Wertschöpfung in diesen Sektoren verringern«, hieß es. Solch eine Krise würde außerdem die Einkommen der privaten Haushalte schmälern, was wiederum die Binnennachfrage beeinträchtigen würde.
»Doch auch ein schleichender Niedergang der Stahlindustrie hätte wirtschaftliche und politische Folgen«, schreiben die Studienautoren Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk. Besonders betroffen wären stahlintensive Regionen wie etwa Duisburg, Eisenhüttenstadt, Bremen oder das Saarland. Erfahrungen aus den USA und Großbritannien zeigten, dass wirtschaftlicher Niedergang in industriell geprägten Regionen häufig mit einem Erstarken rechtspopulistischer Strömungen einhergehe. »Das gilt auch für Deutschland: Eine Politik, die zentrale Industrien aufgibt, schwächt nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die demokratische Stabilität.«
IG Metall: Ende der Stahlproduktion würde Standort gefährden
»Die Studie zeigt deutlich: Die Stahlindustrie ist keine Branche wie jede andere«, sagte der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, der dpa. »Ein Ende der Stahlproduktion in Deutschland würde den Industriestandort insgesamt massiv gefährden – mit schwerwiegenden Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und die politische Stabilität im Land.«
Politik und Unternehmen trügen eine hohe Verantwortung. Bund und Länder müssten alles tun, um die Stahlindustrie in Deutschland und Europa zu sichern und zukunftsfähig zu machen. »Angesichts der geopolitischen Lage sollte jedem klar sein, dass eine eigene Stahlproduktion zwingend ist für Resilienz und sichere Lieferketten – und damit für zehntausende Arbeitsplätze weit über die Stahlbranche hinaus«, erklärte Kerner.
Die IG Metall fordere deshalb klare Vorgaben für die Verwendung von heimischem Stahl – nicht nur bei öffentlichen Aufträgen. »Wer am europäischen Markt teilhaben will, muss auch hier produzieren und Arbeitsplätze schaffen.« Zusätzlich brauche es einen wirksamen Schutz vor billigem Importstahl zu Dumpingpreisen aus China und wettbewerbsfähige Energiepreise. »Vom Stahlgipfel am Donnerstag erwarten wir ein klares Bekenntnis zu diesen notwendigen Maßnahmen von allen Beteiligten«, so Kerner weiter.
Studie: Mindestens 40 Millionen Tonnen Stahl sind jährlich nötig
Die Mannheimer Wirtschaftsforscher halten langfristig eine Produktion von mindestens rund 40 Millionen Tonnen jährlich in Deutschland für notwendig, um den Bedarf verlässlich zu decken. Zum Vergleich: 2024 wurden in Deutschland rund 37 Millionen Tonnen Rohstahl erzeugt. Die Hälfte der Zielmenge sollte nach Ansicht der Studienautoren über eine CO2-arme Direktreduktion erzeugt, die andere Hälfte in Elektroöfen aus Stahlschrott geschmolzen werden. Die Forscher forderten in diesem Zusammenhang mehr Investitionen in Anlagen für eine klimafreundlichere Stahlproduktion.
Am Donnerstag findet im Bundeskanzleramt ein »Stahlgipfel« statt. Dabei soll es um Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Stahlindustrie gehen.
© dpa-infocom, dpa:251104-930-246276/2
 

