Gunter Mackinger ist ein Spezialist in der Geschichte des Eisenbahnverkehrs auf der Strecke Freilassing – Bad Reichenhall – Berchtesgaden. Sein Wissen besteht nicht aus angelesenen Fakten, sondern wird gespeist aus einer schon seit Kindheitstagen stetig gewachsenen Faszination mit allem, was mit Eisenbahn zu tun hat.
Nach seiner Matura und dem abgeleisteten Wehrdienst war es keine Frage, was er beruflich machen wollte. Er fing an, als Verschieber zu arbeiten, wurde Schaffner, Triebwagenführer und Fahrdienstleiter und arbeitete fast bis zu seiner Pensionierung als Geschäftsführer der Berchtesgadener Landbahn GmbH.
Der Seminarraum war gut besetzt. Die vorwiegend männlichen Zuhörer waren von nah und weit angereist, sogar aus Tirol und von Bern, um den Ausführungen Mackingers zu lauschen und seine beeindruckende Fotosammlung zu bewundern. Die meisten der Anwesenden waren sicher selbst Eisenbahner oder zumindest begeisterte Besitzer von Modelleisenbahnen.
Gunter Mackinger startete seinen Vortrag mit den Worten »Keine Zukunft ohne Herkunft« und gab damit den Blick auf die Geschichte dieser Bahnlinie frei. 1860 wurde auf Betreiben der Herrscherfamilien in Österreich und Bayern die Bahnlinie Wien – Salzburg – München ausgebaut. Salzburg wurde zum Grenzbahnhof, alle bayerischen Dienststellen wurden exterritorial ebenfalls in Salzburg angelegt. So gab es zum Beispiel zwei Heizwerker, einen Salzburger und einen Freilassinger, die beide im Bahnhof Salzburg stationiert waren und dort Dienst taten.
Die Stadt Freilassing entstand
Freilassing erlangte durch die Anbindung an das Streckennetz an Bedeutung, der Ort wurde auf den Bahnhof hin ausgerichtet und die Wirtschaft florierte. Die neue Stadt Freilassing entstand. Doch es dauerte noch einige Jahre, bis Freilassing seine herausragende Rolle als Eisenbahn-Knotenpunkt vollständig ausfüllen konnte. Noch 1860 konnten Kurgäste, die in den aufstrebenden Kurort Bad Reichenhall reisen wollten, mit der Bahn nur bis nach Teisendorf fahren und mussten dort auf die Postkutsche umsteigen.
Der Ruf nach einer Eisenbahnverbindung Freilassing – Berchtesgaden wurde immer fordernder.
Es dauerte fast 20 Jahre (1867 bis 1888) von der Planung bis zur Umsetzung der Errichtung einer Bahnstrecke bis nach Berchtesgaden. Allerdings mussten Fahrgäste von München über Freilassing nach Berchtesgaden weiterhin in Bad Reichenhall umsteigen.
Interessanterweise konnte man damals in Hallthurm aussteigen, wogegen man später eine Zeit lang die Ansage hörte: »Nächster Halt Hallthurm, die Türen bleiben geschlossen«. Seit 1866 gilt die Zweigstrecke Freilassing – Bad Reichenhall als Hauptstrecke, die Strecke Bad Reichenhall – Berchtesgaden dagegen als Lokalbahn.
Mit einem Ticket rund um den Untersberg
Die Steilstrecke bei Hallthurm ist bis heute eine Herausforderung für Lokomotiven und Lokführer. Oft wurde dabei eine Lokomotive als Nachschieber eingesetzt. Andererseits war diese Strecke auch hervorragend für Messfahrten und Probefahrten geeignet. Das war mit ein Grund, warum man in Freilassing wie kaum in einem anderen Bahnhof die unterschiedlichsten Lokomotivarten sehen konnte.
Was heute noch weit entfernt von einer Verwirklichung erscheint: Um die Jahrhundertwende konnte man bequem mit einem Ticket rund um den Untersberg mit dem Zug fahren.
1897 wurde der Bahnhof Freilassing umgebaut, um den wachsenden Anforderungen als Knotenpunkt gerecht zu werden. Auch der Bahnhof in Bad Reichenhall wurde umgebaut und erweitert. Eigene Gepäckzüge setzte man ein, um das Gepäck der Kurgäste zu transportieren.
Um die Jahrhundertwende wurde der Salzburger Bahnhof zu klein und brauchte Erweiterung. Damit zog der Vorbahnhof nach Freilassing um, der Bau des ersten Heizhauses in Freilassing war der Grundstein für die Stadt als Eisenbahner-Zentrum. Bis heute wäre eisenbahnbetrieblich Salzburg ohne Freilassing nicht möglich.
Die Freilassinger Eisenbahner galten von Anfang an als innovativ und experimentierfreudig. So war es auch kein Wunder, dass man die Elektrifizierung des Schienenverkehrs frühzeitig unterstützte und vorantrieb.
Um den erforderlichen Strom bereit zu stellen, wurde in Bad Reichenhall von 1910 bis 1913 ein Kraftwerk für die Bahnstromversorgung der neu elektrifizierten Bahnstrecken Freilassing – Bad Reichenhall und Bad Reichenhall – Berchtesgaden sowie des Abschnitts Freilassing – Salzburg der Bahnstrecke Rosenheim – Salzburg erbaut. Gespeist wurde und wird dieses Kraftwerk bis heute vom Saalach-Stausee.
Das Kraftwerk liefert über eine 110-kV-Bahnstromleitung an das Netz der DB-Energie, daneben läuft aber auch eine 20-kV-Mittelspannungsleitung für die regionale Versorgung. Eine solche Hybridleitung ist deutschlandweit einzigartig. Als ab 1914 die ersten elektronisch betriebene Züge auf dieser Strecke fuhren und auch nachts beleuchtet waren, hatten die meisten Bewohner nur Petroleumlampen als Lichtquellen.
Eine Dampflokfür den »Führer«
Während der Zeit des Nationalsozialismus bekam durch die Nutzung des Obersalzbergs als repräsentative Residenz die Strecke nach Berchtesgaden bekanntermaßen eine ganz besondere Bedeutung. So musste in Freilassing immer eine Lokomotive bereitstehen, um Gäste oder auch den »Führer« selbst schnell transportieren zu können. Dies war eine Dampflok, die ständig unter Dampf stand und somit auch bei einem Stromausfall sofort bereit zur Abfahrt war.
Zur Beschleunigung des Transportes wurde in Bad Reichenhall 1933 eine neue Bahntrasse auf einem höher gelegenen Damm angelegt, um die Strecke durch die Stadt kreuzungsfrei zu halten. Die letzten Dampfloks in Freilassing konnte man bis in den 70er-Jahren erleben. Diese bedienten die Strecke Mühldorf – Salzburg.
Diese Fülle an Informationen wurde vom Publikum regelrecht aufgesaugt und immer wieder bestätigten Zurufe das eben vorgetragene Fachwissen. Bei so manchem der über 100 Fotos von den verschiedensten Lokomotiven ertönte ein Raunen, fast schon ein Stöhnen, als würde man eine alte Geliebte unverhofft auf dem Foto wiederentdecken.
Barbara Nicolai