Der 1. und 2. Vorsitzende des Verkehrsforums Berchtesgadener Land sind felsenfest davon überzeugt, dass genau jetzt der richtige Zeitpunkt ist, das Projekt anzugehen. Denn schon bald soll in Salzburg der sogenannte S-Link, eine Regionalstadtbahn von der Stadtmitte bis nach Hallein, in Angriff genommen werden. In Anif könnte dann der Anschluss an die Neue Königsseebahn erfolgen.
Gerade in den letzten Tagen erfuhr der S-Link allerdings heftigen Gegenwind (wir berichteten). Die Initiative »Stopp U-Bahn« lehnt das Projekt vehement ab – vor allem wegen der Kosten, aber auch weil man darin eher Nach- als Vorteile für das öffentliche Verkehrsnetz in Salzburg sieht. Dr. Karl Bösenecker und Richard Fuchs macht die Kritik fassungslos. »Jetzt werden wichtige Entscheidungen wieder hinausgeschoben und das Projekt verzögert sich«, sagt Richard Fuchs, dem der Begriff »U-Bahn« ohnehin ein Dorn im Auge ist. »Das ist keine Stadtlinie, sondern ein regionales Projekt wie in München die S-Bahn«, erklärt der Salzburger. Und, das fügt er noch an, die Gegeninitiative bestehe »eh nur aus 15 Personen«.
Milliardenprojekt S-Link
So lässt Richard Fuchs, der als Obmann des Salzburger Vereins »Rote Elektrische« auch das Bindeglied für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist, keine Zweifel an der Realisierung des S-Link aufkommen. Derzeit läuft noch die vorgeschriebene Umweltverträglichkeitsprüfung, Startschuss für die Bauarbeiten soll nach derzeitigem Stand der 1. Januar 2024 sein. Da steht erst einmal der Tunnelbau vom Hauptbahnhof bis zur Akademiestraße an. Ansonsten herrscht noch viel Ungewissheit über die weitere Trasse und vor allem auch den Anteil der Untertunnelung. »Da sind jetzt die Fachleute gefragt«, betont Richard Fuchs. Denn je nachdem, wie groß der Streckenanteil im Untergrund ist, steigen auch die Projektkosten, die sich ohnehin in den letzten Jahren massiv erhöht haben. Sie liegen nach derzeitigem Stand zwischen 1,985 Milliarden Euro und 2,838 Milliarden Euro für die Gesamtstrecke bis Hallein. Doch die Sorgen der Kritiker, die die Finanzierung des Projekts für nicht gesichert halten, teilen Dr. Karl Bösenecker und Richard Fuchs nicht. Sie verweisen auf das Finanzierungsmodell: 50 Prozent übernimmt der Bund, die anderen 50 Prozent teilen sich Stadt, Land und Gemeinden. Und wenn daraus tatsächlich ein grenzüberschreitendes Projekt wird, die Neue Königsseebahn also Realität werden sollte, dann wird auch die EU einen beträchtlichen Teil übernehmen.
Und das Verkehrsforum Berchtesgadener Land mit Dr. Karl Bösenecker und Richard Fuchs will seinen Teil zur Realisierung der grenzüberschreitenden Bahnlinie beitragen. »Jetzt ist dafür das richtige Zeitfenster. Sonst ist diese Chance auf Jahrzehnte hinaus verbaut«, betont Fuchs. Der freut sich mit seinem Kollegen Dr. Bösenecker erst einmal darüber, dass die Neue Königsseebahn nun immerhin Aufnahme in das Mobilitätskonzept für den Landkreis Berchtesgadener Land gefunden hat und auch im Nahverkehrsplan Berchtesgadener Land enthalten ist. Damit ist die Wiedererrichtung der Bahnlinie als eindeutiges Ziel erstmals schriftlich fixiert. Man beruft sich dabei unter anderem auf die sogenannte ERB-Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2015 inclusive Korridoranalysen aus dem Jahr 2012. Zusammenfassend wurde darin festgestellt, dass alle Trassenkorridore so große Fahrgastpotenziale erwarten ließen, dass dort Schienenbahnen zu rechtfertigen seien. Und das Verkehrsforum Berchtesgadener Land weist darüber hinaus auf die jährlich 877 000 touristischen Tagesgäste im Berchtesgadener Talkessel hin, die zusammen mit den den jährlich neun Millionen Tagesgästen in Salzburg »ein gewaltiges Kundenpotenzial für den öffentlichen Verkehr« bedeuten würden.
Die Strecke steht weitgehend fest
Übrigens glauben Dr. Karl Bösenecker und Richard Fuchs seit dem Kommunalwahlkampf 2020 fest daran, dass sich eine Neue Königsseebahn auch politisch durchsetzen lässt. Denn damals hatten die Bürgermeisterkandidaten des Talkessels bei einer Veranstaltung im Gasthof »Unterstein« erklärt, dass sie ein solches Projekt unterstützen würden. Mittlerweile hat das Verkehrsforum Berchtesgadener Land diese Idee weiterentwickelt und detailliert in einer beim Forum erhältlichen Broschüre veröffentlicht. Darin wird die potenzielle Strecke vom Grenzübergang Hangendenstein bis zum Königssee schon relativ genau beschrieben, wenngleich man es vermieden hat, zu sehr ins Detail zu gehen.
Im Wesentlichen soll die neue Trasse wieder der Linie folgen, auf der bereits die »Grüne Elektrische« bis Oktober 1938 zwischen der Landesgrenze und dem Königssee unterwegs war. Also immer entlang der Bundesstraße, über die Marktschellenberger Ortsbrücke hinaus zur Schnitzhofallee. »Hier ist überall ausreichend Platz, denn wir benötigen für die Trasse nur etwa vier Meter«, erklärt Dr. Bösenecker. Beim Schnitzhofheim am Ortsausgang der Marktgemeinde halten Bösenecker und Fuchs die Errichtung eines großen Bahnbetriebswerks für sinnvoll. Hier werden dann die Fahrzeuge gewartet und in den Nachtstunden beziehungsweise in den Schwachlastzeiten abgestellt. »In der eher strukturschwachen Marktgemeinde Marktschellenberg könnten dadurch rund 250 neue Arbeitsplätze entstehen«, fügt Richard Fuchs an. Sie sollen dann die 25 bis 30 Triebwagen, die auf der neuen Strecke verkehren werden, warten und gegebenenfalls reparieren. Drei davon bilden künftig einen bis zu 120 Meter langen Zug, der bis zu 660 Personen befördern kann.
Durch den Tunnelzum Bahnhof
Die weitere Strecke bis Berchtesgaden ist wieder durch die Bundesstraße vorgegeben, ehe die Trasse in der Bergwerkstraße nach rechts abzweigt und die ehemalige Tunnelstrecke in Richtung Bahnhof Berchtesgaden verfolgt. Nach dem Tunnel geht es zunächst zur Haltestelle Bahnhof, wo es ein Systemtrenner ermöglichen soll, die beiden Bahnlinien, die einerseits mit Gleichstrom, andererseits mit Wechselstrom betrieben werden, zu verbinden. So lassen sich hier künftig einzelne Wägen abkoppeln, um in Richtung Bad Reichenhall zu fahren.
Die Königsseetrasse führt dann zurück auf die Bahnhofstraße und quer durch den Kreisverkehr. »Hier muss man mit einer Brücke gerade über die Ache«, erklärt Richard Fuchs. Wenn der Zug kommt, muss der Fahrzeugverkehr also angehalten werden, wobei die Taktung noch nicht feststeht. »Das dauert aber nicht lange, denn die Züge haben eine enorme Beschleunigung«, weiß Fuchs, der für die Fortsetzung ab dem Kreisverkehr grundsätzlich zwei Möglichkeiten sieht: entweder entlang der Königsseer Straße oder entlang der alten Trasse auf dem Königsseer Fußweg. Zwar weiß der Salzburger, dass die modernen Triebwagen kaum zu hören sind, dennoch rechnet er mit Widerstand, falls man den Zug entlang der dichten Bebauung in der Königsseer Straße rollen lassen würde. »Vermutlich wäre also der Fußweg die bessere Wahl«, sagt der stellvertretende Vorsitzende des Verkehrsforums Berchtesgadener Land.
Bahnhofshalle nahe der Jennerbahn-Talstation
Weiter ginge es auf der ehemaligen Trasse bis auf Höhe Stangermühle, von wo aus es gilt, den Höhenunterschied hinauf zur Bundesstraße zu schaffen. Bösenecker und Fuchs können sich vorstellen, die Steigung im Hang zwischen Fischzucht und Campingplatz zu überwinden. Oben würde man – so die Idee des Verkehrsforums – die Bundesstraße nur queren, um über die Richard-Voß-Straße das große Feld zwischen Königssee-Parkplatz und Jennerbahn-Talstation zu erreichen. Die vorläufigen Pläne sehen vor, hier eine große Bahnhofshalle zu errichten.
Bösenecker und Fuchs weisen darauf hin, dass eine seriöse Kostenschätzung für das Projekt Neue Königsseebahn aufgrund vieler Unwägbarkeiten aktuell kaum möglich sei. Dennoch nennen sie dann auf Anfrage der Lokalzeitung »grob anhand Erfahrungswerten für Überlandstraßenbahnen« geschätzte Zahlen mit Stand 2020: Für die gesamten 22 Kilometer von Anif bis Königssee etwa 50 Millionen Euro Planungskosten und 320 Millionen Euro Baukosten, für die 16.9 Kilometer ab der Landesgrenze, also den deutschen Anteil, wären es dementsprechend etwa 39 Millionen Euro Planungskosten und rund 246 Millionen Euro Baukosten. Dr. Karl Bösenecker und Richard Fuchs glauben trotz der vielen Probleme, die noch zu lösen sind, an eine Realisierung der Neuen Königsseebahn. Allerdings wissen sie auch, dass es dauern wird. »Vielleicht zehn Jahre«, lautete die Antwort auf eine entsprechende Frage.
Der Meinungsbildungsprozess in der Kommunalpolitik zum Thema »Neue Königsseebahn« läuft im übrigen gerade erst an. Nach Informationen des »Berchtesgadener Anzeigers« hat Landrat Bernhard Kern unter anderem die betroffenen Bürgermeister für heute zu einer Besprechung eingeladen. Wir werden nachberichten.
Ulli Kastner