Der 21-Jährige soll der jungen Frau, die in jener Nacht gegen 2.30 Uhr zu Fuß auf dem Rückweg von der Disco »Eiskeller« in ihr Elternhaus war, beim Joggen in sexueller Absicht gefolgt sein. Laut Anklage schlug er sie mit einem Gegenstand nieder. Dann soll er die Bewusstlose in den Bärbach geworfen haben, wo die 21-Jährige nach wenigen Minuten ertrank. Bei dem damaligen Hochwasser wurde die Leiche weiter in den Fluss Prien geschwemmt. Ein Lehrer fand die Tote etwa zwölf Kilometer vom Tatort entfernt bei Kaltenbach in der Gemeinde Prien.
Von der Ex-Schulkameradin und »besten Freundin«, wie sie von allen Seiten bezeichnet wird, hatten die Ermittler Hinweise auf den Tatverdächtigen erhalten. Der 21-Jährigen hatte Sebastian T. kurz nach dem Tod Hannas Dinge erzählt, die von der Polizei als Täterwissen eingestuft wurden. Die erste Zeugenvernehmung am vierten Prozesstag hatte das Gericht abgebrochen, war doch die junge Frau der Situation im voll besetzten Gerichtssaal mit dem Angeklagten Auge in Auge sichtlich nicht gewachsen. Zwischenzeitlich hatte sie ihre »Hausaufgaben« mit zeitlichen Abläufen erledigt. Zudem hatte das Gericht auf Antrag von Zeugenbeistand Andreas Leicher aus Rosenheim die Vernehmung per Videotechnik genehmigt.
Die Zeugin wiederholte gestern im Grunde ihre erste Aussage vor Gericht, allerdings konzentrierter, flüssiger, ohne Tränen und ohne Pausen. Sie beteuerte, sie habe bei der Polizei »untertrieben«. Wörtlich meinte sie: »So wie ich es jetzt sage, stimmt es.« Am späten Nachmittag des 3. Oktober 2022 hatte sich der Schulspezl demnach mit ihr und ihrer jüngeren Schwester bei McDonalds in Prien getroffen. Danach sei man heimgefahren. Sebastian T. und sie hätten ein Treffen am späten Abend am Parkplatz des »Eiskellers« vereinbart. Er habe, ungewöhnlich gekleidet mit einem Hoody und Kapuze über dem Kopf, gefragt: »Hast du gewusst, dass letzte Nacht in Aschau ein junges Mädel umgebracht wurde?« Die Zeugin erinnerte sich, sie habe »Angst gehabt, dass der Mörder noch frei rumläuft«.
Der Angeklagte habe ein Messer aus der Hoody-Tasche gezogen, es ihr an den Hals gehalten und dabei gesagt: »Haha, jetzt bring ich dich um.« Die 21-Jährige weiter: »Ich habe es nicht lustig gefunden, Scherze zu machen, wenn jemand gestorben ist.« Darüber habe sie viel nachdenken müssen. Am 4. Oktober 2022 habe man sich nach der Schule zu einem weiteren Treffen spätnachmittags am »Eiskeller«-Parkplatz verabredet. Mit dem Angeklagten sei sie am Fluss entlang gegangen. An einer Eisenbank habe sie bei Mondschein schöne Fotos geschossen. Während des Spaziergangs habe sie ob eines Geräuschs Angst gekriegt – wegen eines Hirschs oder eines Bären. Zurück am Parkplatz habe sie »keinen Bock mehr gehabt«.
Einen Tag später habe sie Sebastian T. die Bilder geschickt und dabei zufällig auf Tiktok entdeckt, dass jemand in Aschau umgebracht worden ist. Tagelang habe sie über alles nachgedacht: »Ich dachte, ich finde es komisch, dass er von der Sache in Aschau wusste und ich es erst am 5. Oktober 2022 bei Tiktok gesehen habe. Mein Gedanke war: Wie konnte er das wissen? Und: Er hat noch nie Witze gemacht über Morde – und das bei einem Mädel. Ich habe auch das mit dem Messer nicht verstanden.« Der Angeklagte sei stets »ein guter Spezl« gewesen, der ihr Vertrauen besessen habe.
Zu den »Hausaufgaben« des Gerichts zählte das Geschehen am 17. November 2022, einen Tag vor Festnahme des Angeklagten. Im Wohnzimmer habe der Freund vor ihr, der Mutter und der Schwester erzählt, er habe sich bei der Polizei als der »Jogger« von Aschau gemeldet, wusste die Zeugin. Man habe ihm zu einem Anwalt geraten. Da habe er gesagt: »Gut, mein Gott, dann war ich es halt.« Auf Nachfrage beteuerte die Auszubildende, der Name »Hanna« sei am 3. Oktober 2022 nicht gefallen, erst später. Von »sexuellem Missbrauch« habe der Freund nie geredet.
Die Vorsitzende Richterin fasste zusammen: »Es ist sonnenklar, dass es in der Aussage der 21-Jährigen im Randgeschehen Widersprüche gibt. Genauso klar ist, dass sie einer Konfliktbefragung durch die Verteidiger nicht gewachsen ist.« Die Verteidiger, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank, beide aus Rosenheim, nickten dazu. Jacqueline Aßbichler wandte sich an den Angeklagten: »Soll Ihre beste Freundin nochmals durch diese Mühle gedreht werden? Überlegen Sie es sich. Wir haben bei der Einordnung der Tat eine große Bandbreite – von kaltblütigem Mord bis hin zu einer Verzweiflungstat. Sie sind noch jung, haben keine Vorstrafen. Ihre beste Freundin wird von den Verteidigern durch die Mangel gedreht. Gehen Sie in sich. Im Leben muss man Entscheidungen treffen. Wenn man etwas gemacht hat, muss man dazu stehen.« Der Angeklagte reagierte wie auf alle Appelle bisher und schwieg.
Unter den weiteren gestrigen Zeugen waren zwei junge Frauen aus dem Bekanntenkreis des Angeklagten. Eine 20-Jährige aus Baden Württemberg hatte ihn Anfang 2021 bei einem Bundespfadfinderlager mit 1 400 Teilnehmern kennen gelernt. Nach einigen Chats fuhr er im Herbst 2022 die 500 Kilometer zu ihr. Warum er am nächsten Tag abrupt abgereist war – dafür lieferte die Zeugin keinerlei Erklärung. Nichts sei passiert. Sie habe nur »einfach ein dummes Bauchgefühl« gehabt und weitere Anrufe geblockt. Die Vorsitzende Richterin fragte direkt: »Hat er Ihnen weh getan?« »Nein« lautete die Antwort. Vielleicht sei er enttäuscht gewesen, dass er sie nicht nach Freiburg habe chauffieren dürfen.
Von einer Schule in Prien her kannte eine 19-Jährige eine Schwester des Angeklagten. Man sei nie befreundet gewesen, habe jedoch ähnliche Probleme mit der eigenen Familie gehabt. Die Zeugin zitierte, in der Familie des Angeklagten sei es – wie in ihrer - »nicht so gut gelaufen«.
Das Verfahren wird am Dienstag, 7. November, um 9 Uhr mit Zeugen aus dem Club »Eiskeller« fortgesetzt. kd


