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Man habe keine Belege, dass der Fischotter Arten zum Aussterben bringt, so Vorsitzender des LBV Bayern Norbert Schäffer.

Wenn der Fischotter zum Wolf wird – Fischer klagen über Bestände

Berchtesgaden – Die Fischer klagen über leere Bäche, die Naturschützer sind zumindest alarmiert: Emotional aufgeladen wird der Fischotter zur Konfliktart erklärt. Während die einen gegen den an das Wasser angepassten Marder wettern, rufen andere dazu auf, die Ruhe zu bewahren. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Thematik wird gefordert. Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbunds für Vogelschutz, erklärte kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung im »Kulturhof Stanggass« das Tier sogar »zur Chefsache«.


Dr. Andreas Kranz ist Wildökologe. Er ist einer von wenigen ausgewiesenen Fischotterexperten und forscht länderübergreifend zum Bestand. Im Südosten Bayerns galt der Vertreter aus der Familie der Marder lange Zeit als nicht existent. Es gibt historische Bilder, rund 100 Jahre alt, auf denen Fischotter als Jagdtrophäe präsentiert werden. Dr. Andreas Kranz sagte: »Die Sache mit dem Fischotter ist viel vertrackter und komplizierter als die mit dem Wolf.« Während der Wolf ein Feindbild der Bauern ist, ist der Fischotter drauf und dran, zum Sündenbock der Fischer zu werden.

Franz Zechmeister ist aktiver Fischer beim Fischereiverein Berchtesgaden. Seine Kollegen und er betreuen mehr als 30 Kilometer Fließgewässer. Er sagte: »Unsere Bäche sind mittlerweile leer.« Dort, wo die Fischer 10 000 Setzlinge einbrachten, hätten sie am Ende nur 20 Fische herausgeholt. Ins Visier der Fischer geraten ist der Fischotter. »Ja, er frisst vor allem Fisch, Fisch und nochmals Fisch«, bestätigte Dr. Andreas Kranz, »daher auch sein Name«.

Die Fischer vermuten, dass es mit Fisch allein nicht getan ist. Schon jetzt sind die Fangerfolge um mehr als die Hälfte geschrumpft im Vergleich zu früheren Jahren. »Am Hintersee gibt es nur noch wenige Entenpaare«, sagte ein Vereinsmitglied. Auch der Eisvogel sei deutlich seltener an Fließgewässern anzutreffen. Wird der Fischotter zum Feindbild jeder heimischen Tierart?

Dass der Fischotter Schuld am Dilemma der Petrijünger trägt, davon zeigten sich die Betroffenen zumindest teilweise überzeugt. Andere vermuten, dass es weitere Faktoren gibt, die den Fischbestand beeinflussen. Wissenschaftliche Erhebungen, die die Thematik darlegen, gibt es kaum.

Fakt ist: Der Fischotter breitet sich seit rund 30 Jahrzehnten wieder aus. Wo sich der Fischotter niederlässt, gilt das Ökosystem als weitestgehend intakt. Denn der Mardervertreter benötigt viel Futter. Ein rund neun Kilo schweres Männchen vertilgt am Tag bis zu eineinhalb Kilo Fisch. Hinzu kommt: Der Fischotter ist flink. Mit seinen empfindlichen Sensoren spürt er Fischbestände im Flusslauf auf und folgt diesen kilometerweit. Nicht nur Fisch steht auf dem Speiseplan: Der Fischotter bedient sich auch an Amphibien, Krebstieren und manchmal steht der Appetit auch nach Kröten, die er häutet.

»Die Fische regulieren den Otterbestand«, weiß Dr. Andreas Kranz. Er hat im vergangenen Jahr die Fließgewässer rund um Berchtesgaden erkundet, die Berchtesgadener, Ramsauer und Bischofswieser Ache, insgesamt 57 Kilometer Flusslauf und Uferbestand. Auch den Königssee samt Obersee untersuchte er und fand überall Reviere. Bis zu 20 Fischotter seien in der Region heimisch, schätzt er. Um das Ganze auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, brauche er aber mehr Zeit. Ein Jahr dauere die Untersuchung, dann könnten über genetische Beprobungen Aussagen über den tatsächlichen Ist-Bestand getroffen werden.

Beim Fischereiverein hat man viel Erfahrung mit dem ans Wasser angepassten Marder. Selbst in Bachläufen und kleinen Fischteichen weit oben am Berg, etwa im Bischofswieser Ortsteil Loipl auf rund 1 000 Meter, war er gesichtet worden. »Er jagt in Kleingewässern so lange, bis alles tot ist«, sagte Fischer Franz Zechmeister. Die Aalrutte gebe es so gut wie nicht mehr. Sorge bereitet auch der Bestand der Urforelle, eine autochthone Bachforelle, die früher in nahe gelegenen Salzburger Hochgebirgsbächen heimisch war. »Von der ist fast nichts mehr da«, sagte Franz Zechmeister.

Die Fischer sind der Ansicht, dass der Bestand des Fischotters reguliert gehört. »Die Fischbestände sind enorm unter Druck geraten«, so auch Vorsitzender des Fischereivereines Berchtesgaden Bernd Kubicke. Dass dem Fischotter nun der »Schwarze Peter« zugeschoben wird, befindet Vorsitzender des Landesbundes für Vogelschutz Bayern (LBV), Norbert Schäffer. Seine Sichtweise ähnelt der von Dr. Andreas Kranz: »Wir haben bisher keine Belege, dass der Fischotter Arten zum Aussterben bringt.«

»Es wäre für die Sache fatal, wenn als Ergebnis der Fischotter-Erfassung im Berchtesgadener Raum eine Art Freibrief zur Selbsthilfe herauskäme, falls der Otter den Fischern – weshalb auch immer – lästig wird«, so Wolfgang Scherzinger. Der Biologe, der bei der Gründung des Nationalparks Bayerischer Wald mitwirkte, später für den Nationalpark Berchtesgaden arbeitete, wies auf eine »sehr vorläufige und unzureichende Datenlage« hin.

Tatsache sei, dass die Beteiligten in einem »Black-box«-System herumstocherten, »von dem wir nur wissen, dass die Fischer auf der einen Seite Unmengen Fische in die Bäche kippen, und auf der anderen Seite kaum noch erntereife Fische herauskommen«. Hinzu komme, dass alle Angaben zur Dichte, Geschlechterstruktur und Reproduktion beim Fischotter auf Analogschlüssen basierten, was »Folgerungen zu Regulierungs-Notwendigkeit oder Entnahme-Mengen überhaupt nicht zulässt«. Wolfgang Scherzinger warnte davor, nicht der simplen Logik zu folgen: »Viele Fische hinein, wenige Fische heraus, die Differenz ist Fischotter-Beute.« Das durchaus einleuchtende Argument, dass es früher »keine Otter, dafür viele Fische gegeben hat und heute keine Fische, dafür Otter« lasse außer Acht, was sich in den Fischpopulationen, in den Gewässern, bei den Belastungen durch technische Bauwerke und den geringen Restwassermengen in den Ausleitungsstrecken getan hat.

Nur solide Basisdaten und eine gesamt-ökologische Betrachtung der Entwicklungen könnten dazu führen, den Fischotter nicht »leichtfertig ans Messer zu liefern«, so Wolfgang Scherzinger.

Kilian Pfeiffer

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