Der Film sorgte 2024 für großes Aufsehen. Und wurde nun auch in Berchtesgaden gezeigt, in der Reihe Obersalzberger Filmgespräche. Das Interesse war riesig, das Kino im AlpenCongress war voll. Einzelne, trotz Anmeldung leer gebliebene Sitze wurden mit Wartenden gefüllt. »Wir hätten den Saal zwei Mal vollmachen können«, lässt Dr. Sven Keller wissen. Der Leiter der Dokumentation Obersalzberg freut sich sehr über das Interesse und über die illustre Runde, die gekommen ist, um im Anschluss über den Film zu sprechen: Produzentin Sandra Maischberger, Regisseur Andres Veiel und Prof. Dr. Magnus Brechtken, stellvertretender Leiter des Instituts für Zeitgeschichte.
Letzterer spielt als Historiker eine wichtige Rolle in diesem Kontext, denn er berät die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die 2018 den kompletten Nachlass Leni Riefenstahls als Schenkung erhielt. Dieser Nachlass wurde von der Regisseurin, die 2003 im Alter von 101 Jahren starb, selbst kuratiert. Und von dem Filmteam rund um Maischberger und Veiel ausgewertet. 700 Kisten standen dort, die viel Erstaunliches und Erhellendes offenbarten.
Das blaue Licht
Der Dokumentarfilm, der annähernd zwei Stunden dauert, beginnt mit dem Anfang von Leni Riefenstahls Erfolgsgeschichte: »Das blaue Licht«, gedreht 1932, mit ihr selbst in der Hauptrolle. Und hier geht das Werk der heutigen Filmemacher auf Gegenkurs zum Schaffen der umstrittenen Regisseurin, setzt bewusst auch einen künstlerischen Gegenpunkt, nicht nur inhaltliche. Derer es genug gibt. Vieles ist aufgetaucht in dem Nachlass, private Korrespondenz, von Riefenstahl selbst aufgezeichnete Telefongespräche – unter anderem mit Albert Speer. Stück für Stück dekonstruieren Maischberger und Veiel die Legende, die Riefenstahl über sich selbst erzählt hat. Und stellen fest: Sie war Anhängerin des Nationalsozialismus, bis zum Schluss.
Sie selbst hat das immer verneint und abgestritten. Wurde auch nur als »Mitläuferin« verurteilt, da sie kein NSDAP-Mitglied war. Doch Hitlers Lieblingsregisseurin hat das Gedankengut der Nazis in ihren Filmen ästhetisiert und verbreitet. Ihr berühmtester Film »Triumph des Willens« über die Olympischen Spiele von Berlin 1936 zeigt die Perfektion von Körpern und Bewegung, lässt alles aus, was da nicht hinein passt. Die Motive ihrer Filme passten perfekt zur faschistischen Ideologie: Sie sparte alles Kranke, Schwache und Hässliche aus und konzentrierte sich in ihrer Bildsprache auf das Schöne, das Starke, das Erhabene. Und sie setzte Hitler gottgleich in Szene.
Tiefland
Für den Film »Tiefland« (1944) rekrutierte Riefen-stahl ihre Statisten aus dem Salzburger Zwangslager Maxglan, wo Sinti und Roma untergebracht waren. Viele von ihnen wurden nach den Dreharbeiten in Auschwitz ermordet. Riefenstahl stritt das stets ab, sie habe alle Statisten nach dem Krieg wiedergetroffen – nachweislich falsch. Wie so vieles.
Nach dem Krieg war ihre Karriere weitgehend zu Ende. Durch die unbestreitbare Nähe zum Nationalsozialismus wollten viele mit ihr nichts mehr zu tun haben. Sie kämpfte stets dagegen an, führte Prozess über Prozess, um an ihrer Legende weiter zu stricken. »Wer ihr in die Quere kam, wurde verklagt«, erzählt Sandra Maischberger. Leni Riefen-stahl selbst zeigt im Film ein großes Regal mit Ordnern, alle über Prozesse. Sie inszenierte sich selbst als Opfer – bis heute eine gern verwendete Strategie von Rechtspopulisten. Der Dokumentarfilm zeigt diesen Kampf. Und stellt dem gegenüber, was ihr Nachlass offenbart hat.
In von ihr selbst aufgezeichneten Telefonaten relativierte sie den Holocaust, hoffte auf die Rückkehr »deutscher Tugenden«. In einem Brief von 1948 schreibt sie: »Meine Ideale wurden gemordet.« 1939 wurde sie im polnischen Konskie Augenzeugin, als Wehrmachtssoldaten ein Massaker an polnischen Juden anrichten. Nicht ausgeschlossen wird, dass sie selbst das mit einer Regieanweisung – »Die Juden weg« – versehentlich ausgelöst hat. Nach dem Krieg schneidet Riefenstahl eine Version von »Triumph des Willens« ohne Hitler. Aber sie hebt die herausgeschnittenen Sequenzen auf, in einer mit »A.H.« beschrifteten Rolle. »Wahrscheinlich glaubte sie, dass sie das Material irgendwann wieder übernehmen kann«, erzählt Sandra Maischberger in Berchtesgaden. Und es gibt Aufzeichnungen bis 1948, in denen sie ihre Augenzeugenrolle im Krieg gar nicht in Frage stellt, berichtet Andres Veiel: »Das ändert sich erst mit den Entnazifizierungsprozessen.«
Die Macht der Bilder
»Leni Riefenstahl war eine hochmanipulative Frau«, sagt Sandra Maischberger. Sie hatte sie selbst noch interviewt vor ihrem Tod: »Ich hatte das Gefühl, dass ich angelogen wurde.« Und Riefenstahl konnte sehr aggressiv werden, wenn ihre Legende in Frage gestellt wurde. Das zeigen unveröffentlichte Aufnahmen aus dem Dokumentarfilm »Die Macht der Bilder« (1993). Da ist zu sehen, wie sie überaus wütend die Ausstrahlung solcher Szenen untersagt. Aus ihrem Nachlass wurden diese dann aber in den Maischberger-Film übernommen.
Triumph der Wahrheit
Warum nun »Riefen-stahl«, über 20 Jahre nach ihrem Tod? Die Macher geben Antworten. Tenor: Die Geschichte ist immer noch aktuell. »Wir erzählen, wie schnell das gehen kann, die Sehnsucht nach einer ordnenden Hand«, sagt Regisseur Veiel. Und Produzentin Maischberger hatte ebenfalls die heutige Generation im Blick: »Wir sehen an ihr die Macht der Bilder. Es ist ganz wichtig zu wissen, was Propaganda anrichten kann.«
Der Dokumentarfilm widerlegt eindrucksvoll und fesselnd die Riefenstahl-Legende. Triumph der Wahrheit. Thomas Jander