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Eine Klettertour durch die Watzmann-Ostwand (im Hintergrund) beginnt heute wie vor 100 Jahren zumeist mit einer Bootsfahrt über den Königssee. (Archiv-Foto: Ulli Kastner)

»Schwarzer Tag am Watzmann«: Vor 100 Jahren sterben fünf Bergsteiger nach Durchsteigung der Ostwand

Ramsau/Schönau am Königssee – Der »schwarze Tag am Watzmann« ging als trauriges Kapitel in die Geschichtsbücher des Alpinismus ein. Fünf Bergsteiger aus Berchtesgaden, Traunstein und München kamen am 18. Juni 1922 nach einer Durchsteigung der Ostwand zwischen Südspitze und Watzmannhaus im Schneesturm ums Leben. Das Drama heute vor 100 Jahren gehört nach wie vor zu den schlimmsten Bergunglücken in den Ostalpen. 


Wochenlang herrscht in jenem Juni 1922 hochsommerliches Wetter, wie Hellmut Schöner später in seinem Buch »Zweitausend Meter Fels« schildert. Die Zeit scheint ideal für eine Durchsteigung der Watzmann-Ostwand, in der es zu jener Zeit nur den 1881 eröffneten Kederbacher Weg gibt. So treffen sich am Abend des 17. Juni, einem Samstag, an der Seelände zwei Bergsteigergruppen, um mit dem letzten Motorboot nach St. Bartholomä überzusetzen. Die Dreierseilschaft der Akademischen Sektion München besteht aus Otto Leixl aus München, Dr. F. Kaußler aus Landau in der Pfalz und Dr. Karl Ehrensperger aus Traunstein. Die andere Partie bilden Josef Aschauer und Josef Stangassinger aus Berchtesgaden sowie Karl Diensthuber und Wilhelm Pöhlmann aus München.

Die Seilschaft mit den Berchtesgadenern bricht gegen 3 Uhr auf, die andere Partie folgt eine Viertelstunde später. Doch das Wetter ist diesmal nicht gut, schon zu Beginn regnet es und Nebel zieht über den See. Über die Schöllhornplatte, klettertechnisch die Schlüsselstelle der Wand, plätschert das Wasser herab. Schon hier fallen Josef Aschauer die schweren Rucksäcke auf, die die Münchner Seilschaft doch stark behindern. Die drei haben so viel Material dabei, weil sie im Anschluss noch einen achttägigen Urlaub auf dem Watzmannhaus verbringen wollen.

In kurzer Lederhose dem Schneesturm ausgesetzt

Kurz darauf stehen alle gemeinsam in der geschützten Zellerhöhle. Es ist nass und kalt, alle frieren sie, zumal einige nur kurze Lederhosen tragen. Nach kurzer Diskussion entscheiden sie sich für den weiteren Aufstieg. Nach und nach nähert man sich dem Gipfel, doch die Münchner bleiben zurück, vor allem Dr. Kaußler scheint ermüdet zu sein und kommt nur noch langsam voran. Leixl, besorgt um den Zustand seines Seilgefährten, veranlasst Aschauer und sein Team, das schon am Gipfel angekommen ist, durch Zuruf, zum Watzmannhaus abzusteigen, um nötigenfalls Hilfe holen zu können.

Mittlerweile tobt auf dem Gipfel der Südspitze und entlang des gesamten Watzmanngrates ein heftiger Schneesturm. Zitternd vor Kälte müht sich die Viererseilschaft, teils in kurzen Hosen, auf dem Grat weiter in Richtung Mittelspitze und Hocheck. Doch dann verlassen Karl Diensthuber die Kräfte. »I mag nimmer, I kann nimmer. I leg mi jetzt da hin und schlaf«, soll er gesagt haben. Ein gutes Stück schleppt man ihn noch weiter, doch dann ist Diensthuber tot.

Die Hilfe kommt zu spät

Josef Stangassinger, der Cousin Aschauers, ist vom Tod des Freundes so erschüttert, dass auch er seinen Lebenswillen verliert. Wilhelm Pöhlmann eilt deshalb voraus, um am Watzmannhaus Hilfe zu holen. Währenddessen trägt und zerrt Josef Aschauer seinen Gefährten noch eine Weile über den Grat, doch kurz vor dem Hocheck ereilt auch Stangassinger der Tod. Zum zweiten Mal innerhalb von 80 Minuten bindet Aschauer die Leiche eines Kameraden an das Drahtseil. Aschauer schleppt sich alleine noch die letzten Minuten zum Hocheck hinüber und steigt dann in Richtung Watzmannhaus ab.

Um 20.30 Uhr trifft er oberhalb des Hauses auf den Hüttenwirt Gschoßmann, der in Begleitung eines Trägers mit Decken und warmen Getränken auf dem Weg zum Hocheck ist. Doch Aschauers Kameraden ist nicht mehr zu helfen. Und man fragt sich: Was ist mit den Münchnern? Man ist sich einig, dass diese wegen des schlechten Wetters den schnellsten Abstieg ins Wimbachgries gewählt haben mussten. So steigt Josef Aschauer mit den Helfern zum Watzmannhaus ab.

Am Montag schließlich bricht eine Bergungsmannschaft auf, um die beiden Leichen am Watzmanngrat ins Tal zu holen. Von den Münchnern fehlt immer noch jede Spur. Doch bei der Leiche Diensthubers finden die Helfer den Rucksack Dr. Kaußlers. Die Dreierseilschaft muss also nach der Ostwanddurchsteigung in Richtung Hocheck weitergegangen sein.

Drei weitere Tage des Suchens sind notwendig, um das Rätsel zu lösen. Denn dann erst findet eine Suchmannschaft die Leichen von Leixl und Ehrensperger am Hochstieg zwischen Watzmannhaus und Hocheck. Alles deutet laut Hellmut Schöner darauf hin, dass Leixl an dieser Stelle ohnmächtig wurde, über die Plattenschüsse abkollerte und nach einigen Metern an einem Vorsprung hängen blieb. Ehrensberger kletterte wohl noch zu seinem Gefährten ab, konnte ihm aber nicht mehr helfen. Kurz darauf starb auch er an Erschöpfung. Aus München herbeigeeilte Bergkameraden und einige Berchtesgadener sollten die Leichen am nächsten Tag bergen.

Fünfte Leiche unterhalb der Südspitze gefunden

Die Suche nach Dr. Kaußler aber geht zu diesem Zeitpunkt noch weiter. Erst nach zehn Tagen wird die Leiche des Bergsteigers in einer kleinen Höhle unterhalb der Südspitze gefunden. Er war noch in der Ostwand an Erschöpfung verstorben. Die Gefährten waren wohl bis zu seinem Tode bei Dr. Kaußler verharrt, weil sein Körper mit Kleidungsstücken zugedeckt war. Die Leiche wurde über das Wimbachtal nach Ramsau gebracht.

Mit Josef Aschauer und Willi Pöhlmann überlebten am Ende nur zwei von sieben am Vortag in die Watzmann-Ostwand eingestiegenen Kletterern den Wettersturz. Das Unglück gehört nach wie vor zu den schlimmsten Bergkatastrophen, die sich bis heute in den Ostalpen ereignet haben.

Ulli Kastner

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