Berchtesgaden: Um jeden Preis? Influencer bringen sich für gute Fotos in Lebensgefahr | Königsbach-Wasserfall
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Für das perfekte Foto auf Instagram darf auch der quietschpinke Flamingo nicht fehlen. (Fotos: Nationalpark)

Mit Flip-Flops im Absturzgelände... Immer mehr bringen sich für gute Fotos in Lebensgefahr

Berchtesgaden – Ein Foto vom »Infinity Pool« an den Gumpen am Königsbach-Wasserfall knipsen, auf Instagram posten und dafür Hunderte von »Likes« erhalten – das Naturerlebnis hat sich in Zeiten von »Social Media« stark verändert.


Die eigentlichen »Geheimtipps« sind längst für alle einsehbar, die Menschenmassen drängen an Plätze, die dafür keine Kapazitäten bieten. Der »Berchtesgadener Anzeiger« hat mit Carolin Scheiter und Lorenz Köppl vom Nationalpark Berchtesgaden über die schwierige Situation und mögliche Lösungsansätze gesprochen.

Auch nach dem tragischen Unfall im Frühjahr, bei dem zwei Männer ums Leben gekommen sind, hat sich die Situation an den Gumpen am Königssee nicht entschärft. Lorenz Köppl, Wegereferent im Nationalpark Berchtesgaden, erzählt, dass eine installierte Messstation ab Mitte Juli bis Anfang vergangener Woche die Besucherzahlen aufgezeichnet hat.

6200 Menschen haben die Stelle an der Rabenwand passiert. »In eine Richtung wohl bemerkt«, so der Wegereferent. Nicht gezählt habe die Anlage die Personen, die am Wasser entlang zu den Gumpen unterwegs waren. »An Spitzentagen sind es bis zu 270 Personen.« Carolin Scheiter, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation, ergänzt: »Die Leute müssen sogar über zwei Stahlseile und an einem Warnschild vorbeigehen, um überhaupt zur Gumpe zu gelangen.«

Mit einem Besucherandrang dieses Ausmaßes hat im Nationalpark Berchtesgaden niemand gerechnet. Fast 40 Jahre hat der Park die Besucher klassisch durch die Natur gelenkt, mit Karten, Schildern und Tafeln. Eine erste Veränderung bemerkten die Verantwortlichen mit der Freischaltung von Tourenprogrammen.

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Mit Flip-Flops im Absturzgelände...

Vor etwa sechs Jahren konnten sich Wanderer Daten über das Internet auf ihre GPS-Geräte laden. Kurz darauf hat der Deutsche Alpenverein die Plattform »alpenvereinaktiv.com« ins Leben gerufen. »Der Verein ist uns damit in den Rücken gefallen«, sagt Lorenz Köppl. Er erklärt, dass der Nationalpark mit Gründung im Jahr 1978 das komplette Wegenetz übernommen habe und somit auch für die Verkehrssicherungspflichten zuständig sei. »Wir haben gewisse Wege und Skirouten ausgeschildert, auf denen sich Aktive aufhalten sollten.« Durch die Online-Plattformen konnten Wanderer ihre Touren veröffentlichen, in kurzer Zeit war das gesamte Wegenetz erfasst. »Das sind um die 600 Kilometer«, ergänzt Köppl.

Später schränkte der Alpenverein die Nutzung ein, Touren konnten nur noch durch autorisierte Nutzer veröffentlicht werden. »Aber da war es schon zu spät.«

In den vergangenen Jahren kamen dann Social Media hinzu. »Ein Drittel der Gumpen-Besucher hat davon über Youtube erfahren«, sagt Carolin Scheiter. Influencer haben nicht nur Fotos veröffentlicht, sondern ihre Abonnenten auch per Videokamera mit zu der Gumpe genommen. Spektakuläre Aufnahmen mit der Drohne inklusive. Die Folge: Wer zu den Gumpen will, muss früh aufstehen oder sich hinten anstellen; die Schlange ist lang, der Besuch kurz: Wer an der Reihe ist, wirft sich in die Badeklamotten, steigt ins kalte Wasser, setzt sich in Szene, die Begleitperson macht ein Foto, schon ist der Nächste dran.

Keine Vegetation

Rund um die Gumpen ist alles plattgetreten. »Es gibt viele Parallelwege, die Menschen gehen überall«, so Köppl. Das Erdreich und die Wurzeln liegen frei, dadurch entsteht Erosion. »In dem Bereich gibt es keine Vegetation mehr«, ergänzt er. »So nahe am Wasser spricht man im Übrigen von einer gewässerbegleitenden Vegetation«, sagt Scheiter. Dabei handle es sich um einen besonders schützenswerten Lebensraum.

Die Rufe nach einer Lösung aus der hiesigen Bevölkerung wurden immer lauter, der ein oder andere Bürger wurde schließlich selbst tätig. Aber auch gefällte Bäume und abgebaute Seilversicherungen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. »Es ist nicht so einfach«, sagt Carolin Scheiter. Im Nationalpark gilt das freie Betretungsrecht, gesperrt werden kann, wenn es naturschutzfachliche Gründe dafür gibt. »Und dann auch nur für eine gewisse Zeit.«

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Carolin Scheiter und Lorenz Köppl suchen nach Lösungen, um ein Betretungsverbot zu vermeiden. Denn ein solches würde auch für die Einheimischen gelten. (Foto: Klein)

Solche Gründe könnten am Königsbach-Wasserfall mit hoher Wahrscheinlichkeit geltend gemacht werden. Aber: Der Nationalpark hat zu wenig Personal, um ein Verbot durchzusetzen. »Wer etwas verbietet, muss auch dafür sorgen, dass Verstöße geahndet werden«, so Scheiter. Es müssten Ranger zur Kontrolle abgeordnet werden, in ihrem derzeitigen Aufgabenbereich würden sie fehlen.

Anfang des Jahres haben sich die Nationalparkverantwortlichen mit Vertretern verschiedener Interessengruppen getroffen, um einen Lösungsansatz zu erarbeiten. Mit dabei waren unter anderem Bürgermeister, Touristiker und die Bergwacht. »Wir haben uns für dieses Jahr vorgenommen, aufzuklären«, sagt Scheiter. Unter Aufklärung versteht die Runde nicht nur, Haftungsfragen zu klären, sondern auch, auf Gefahren hinzuweisen.

Weitere Orte sind gefährdet

Die Gumpe am Königssee ist längst kein Einzelphänomen. Auch die Eiskapelle erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Ein Besuch in den Sommermonaten kann mitunter gefährlich sein. Nicht selten brechen Eisbrocken heraus. Aber auch hier kommt für den Nationalpark eine Sperrung nicht infrage. »Der Besucher soll selbst entscheiden, was ihm zu gefährlich ist und was nicht«, sagt Köppl. »Auf dem Watzmanngrat steht ja auch kein Schild mit ›Achtung Lebensgefahr‹«.

Wie es in Zukunft weitergeht, das können beide noch nicht sagen. »Es ist uns wichtig, über die entsprechenden Social-Media-Kanäle zu informieren«, so Carolin Scheiter. Dafür ist eine neue Stelle geschaffen worden. »Die Kollegin ist erst seit sechs Wochen bei uns und muss sich noch einarbeiten.« Auch ein Zusammenwirken mit Influencern scheint nicht ausgeschlossen. Durch deren Bekanntheit könnte ein größeres Publikum erreicht werden. »Es muss aber authentisch bleiben.«

Ein Hauptaugenmerk wird in Zukunft darauf gerichtet, keine weiteren Plätze an die Masse zu verlieren. »Ich habe das Gefühl, die BGLT will die Nebensaison mit Tourismus beleben«, sagt Köppl. Aber gerade diese Phasen seien wichtig für die Natur, um sich zu regenerieren. »Wir werden sehen, wie es sich entwickelt.«

Bei all den Schwierigkeiten freuen sich die Nationalpark-Mitarbeiter darüber, dass es Bereiche mit klaren Regelungen gibt: »Der Wingsuit-Basejumper, der von der Watzmann-Ostwand gestartet ist, hat in mehreren Punkten gegen die Nationalparkverordnung verstoßen«, so Scheiter. Er wurde angezeigt. »Vielleicht dient ein Bußgeld als Warnung.« Lena Klein

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